berliner szenen Gram und Erschöpfung

Die Frau im Pelzmantel

Uhland- Ecke Pariser Straße bricht eine Frau zusammen. Sie ist gut gekleidet, Pelzmantel, wollene Hose, sieht aus wie von Escada. Eben ging sie noch, da scheinen ihr die Beine zu versagen und sie fällt einfach hin, elegant genau neben einen Hundehaufen. Das sehen die Umstehenden, die sich rasch einfinden. Die Frau mit großartigem, blondiertem Haar merkt davon nichts, obwohl ihre Augen weit offen stehen. Ein älterer Herr kniet sich neben sie, nimmt ihren Kopf in die Hand und tätschelt ihr die Wangen, spricht sie an. Sie hört es, versucht zu antworten, aber es kommen nur gutturale, russisch klingende Laute aus ihrer Kehle.

Über Handy wird der Notarzt alarmiert. Man tippt auf Tabletten. Zu viel Downer geschluckt, um einmal durchschlafen zu können, und dann so was. Der Notarzt kommt mit Sirene, ganz schnell, sonst dauert das doch immer. Da wird die Frau wach, stöhnt, steht mit Hilfe vieler Arme auf. Sie ist nicht jung und nicht alt und extrem geschminkt. „Nein, nein, danke, es geht schon“, sagt sie, und nun hört man das dunkle russische Timbre deutlich. Sie will nicht mitgenommen werden. Aufgebracht ruft sie: „Mein Sohn, mein Sohn, schlimme Sachen er macht!“ Sie will sich nicht helfen lassen, weiß aber den freundlichen Herrn, der sich als Erster ihrer angenommen hat, zu schätzen. „Kommen Sie einmal zu mir. Meine Karte in Handtasche.“ Der junge Notarzt ist unsicher. „Geht es Ihnen wieder gut?“, fragt er. „Ja, sehr gut, bitte gehen.“ Dann stürzt sie auf waghalsigen Absätzen davon. Alle schauen ihr konsterniert hinterher. Jemand tritt in die Hundescheiße, flucht. Der ältere Herr fasst sich ein Herz, läuft der Frau hinterher und hakt sich bei ihr unter. Der kleine Menschenauflauf zerstreut sich.

KATRIN SCHINGS