Die Frauen sind keine Selbstläufer

Die zuletzt durchaus erfolgsverwöhnten deutschen Skilangläuferinnen bereiten Jochen Behle in diesem Winter Sorgen. Vor allem Olympiasiegerin Viola Bauer steht im Mittelpunkt der deutlichen Kritik des Bundestrainers

MÜNCHEN taz ■ Natürlich, wie könnte es auch anders sein: Die Medien sind schuld. Sie haben, so jedenfalls ist es auf der Internet-Seite der Ski-Langläuferin Evi Sachenbacher angemerkt, den Langläuferinnen einen Zickenkrieg angedichtet, der natürlich niemals stattgefunden hat. „Wir verstehen uns wirklich alle gut“, schreibt Evi und versieht diesen Satz auch gleich mit zwei Ausrufezeichen. Auch Claudia Künzel hat in einigen Interviews betont, dass von Querelen im Frauenteam nicht die Rede sein könne. Aber die Zwistigkeiten – gab es sie, gibt es sie, sind sie ausgeräumt, waren sie nie da oder wie auch immer – sind nicht das einzige Problem, das Jochen Behle, den Bundestrainer, derzeit beschäftigt, wenn er an seine Athletinnen denkt.

Bei den Herren, das nur nebenbei, gibt es offenkundig keinen Streit – und deshalb auch keinen Grund, atmosphärische Störungen zu dementieren oder köcheln zu lassen. Sondern nur: gute Leistungen, gute Stimmung und glänzende Aussichten für die weitere Saison. In der Frauen-Abteilung des deutschen Langlaufs jedoch hat Behle Sorgen. Und weil Behle gerne offen redet und für gewöhnlich kein Blatt vor den Mund nimmt, artikuliert er deutlich seine Meinung. Die geht so, dass außer der seit eineinhalb Wochen erkrankten Evi Sachenbacher und der zuletzt zweimal mit Rang zwei beim Sprint in Bern erfolgreichen Claudia Künzel keine der Läuferinnen zur Weltspitze zählt.

„Die Männer sind ein Selbstläufer“, beginnt Behle seine Betrachtung des deutschen Langlaufs im Winter 2004/05. Und weiter: „Bei den Frauen sieht das anders aus.“ Man könnte nun dagegenhalten, dass es sich vielleicht um eine kurzzeitige Formschwäche handelt, schließlich sind die Frauen in der Staffel Olympiasiegerinnen und Weltmeisterinnen – und nicht etwa die Männer. „Damals hat alles perfekt auf den Tag genau zusammengepasst“, erklärt Behle. Jetzt sagt er: „Wenn man es sich anschaut, wird es schwer, in Oberstdorf bei der WM in der Staffel überhaupt eine Medaille zu gewinnen.“

Schon vor zwei Jahren hatte Behle das Männer-Team als die stabilere Mannschaft mit den leistungsfähigeren Einzelakteuren eingestuft. Axel Teichmann, derzeit Führender im Gesamtweltcup, und René Sommerfeldt, Sieger der Wertung im Vorwinter, scheinen mittlerweile auf dem Zenit ihres Könnens angekommen zu sein; Jens Filbrich und Tobias Angerer arbeiten sich voran, Franz Göring ist ein hoffnungsvoller Nachwuchsathlet, Andreas Schlüter ein Routinier. Und: „Die wollen wirklich hundertprozentig, auch im Training.“ Bei den Frauen vermisst er genau diese Einstellung. Weil sie sich ihrer Startplätze sicher sind? Weil sie von den Medaillen zehren, die sie schon gewonnen haben? Weil sie sich in den offiziell gar nicht vorhandenen Streitereien innerhalb des Teams lieber aufreiben als in der Loipe?

Die Fragen nach dem Warum muss auch Behle unbeantwortet lassen, er kennt nur die Auswirkungen der mangelnden Leistungsbereitschaft der Frauen, Sachenbacher und Künzel ausgenommen. Behle packt seine Schützlinge nicht in Watte. Zwar nennt er den Namen der Gescholtenen nicht, aber aus seiner Umschreibung (dass sie beispielsweise erst kürzlich eine Bronze-Medaille von den Olympischen Spielen 2002 nachgereicht bekommen hat) ist Viola Bauer leicht zu identifizieren. Er sagt: „Bei Olympia hat sie gemerkt: Sie kann es ja. Aber es gehört ein ganzjähriger Wille dazu. In zwei Monaten wächst kein Topathlet. Das ist die Einstellung: Man muss nicht alles geben.“

Behles Kritik ist schon einmal angekommen. Im Februar hat er Sachenbacher gescholten, sie habe ihr Training wegen zahlreicher PR-Termine vernachlässigt. Seither trainiert Sachenbacher fleißiger denn je. Für Zickenkrieg bleibt da erst gar keine Zeit.

KATHRIN ZEILMANN