Ein Sieg der Nüchternheit

Bayer Leverkusen schlägt Dynamo Kiew 3:0 und erreicht das Achtelfinale der Champions League. Die Protagonisten nehmen das erstaunlich abgeklärt zur Kenntnis. Euphorie ist nicht zu entdecken

AUS LEVERKUSEN BERND MÜLLENDER

Carsten Ramelow, Bayers Abräumer im Mittelfeld, darf als lebender Beweis für die ganze Widersprüchlichkeit des Fußballs und seine unterschiedliche Wahrnehmung gelten. Defensiv hatte er am Mittwochabend einen hocheffektiven Auftritt gegen Dynamo Kiews gefürchteten Brasilianer Diogo Rincón hingelegt. Gleichzeitig hatte er das Publikum wie so oft gequält – mit seinem so schwer erträglichen Stocherfußball in der Offensive und grotesken Schussversuchen. Durchaus symbolisch also, dass er es war, der Ende der ersten Halbzeit derart energisch nach dem Ball trat, dass dieser mit einem lauten Knall platzte. Der Spielzerstörer also auch als Spielzeugzerstörer. Dafür hat er Applaus bekommen.

Man weiß nicht, wie Carsten Ramelow sein mag, wenn er mal so richtig euphorisch ausflippt – aber vielleicht möchte man es auch gar nicht wissen. Als der ukrainische Meister jedenfalls 3:0 besiegt und der Gruppensieg in der Champions-League-Vorrunde gesichert war, wusste der vormalige Nationalspieler von „absolut positivem Auftreten“ Bericht zu erstatten. In der Kabine sei die Stimmung „sehr, sehr gut gewesen“, allerdings ergehe nachgehender Bescheid: „Wir können den Erfolg nicht so richtig ausleben.“ Die Bundesliga warte eben, schwere Aufgaben etc. Jörg Butt assistierte: Doch, er würde sich schon „mächtig freuen“, sagte der mühsam lächelnde Torwart, der so arbeitslos war, dass er kaum mehr als eine Siegprämie auf Basis von Hartz IV verdient gehabt hätte.

Die Größe der Tat (nämlich jene, in der nominell vielleicht schwersten Vorrundengruppe Erster geworden zu sein) wurde am späten Abend gern reklamiert („unglaublich, vorher nie gedacht“), korrespondierte aber nicht mit den Emotionen. Da dominierte Nüchternheit: „Wir haben Ruhe bewahrt“, sächselte Bernd Schneider, gegen angeblich „starke Kiewer“, die sich bei ihm am Tag nach dem Waldschadensbericht wie Kiefer anhörten. Kapitän Jens Nowotny, der mit seinem gelbroten Auge („das bringt Farbe ins Spiel“) aussah, als sei er unter die Klitschkos geraten, sprach vom „mulmigen Gefühl“, das er lange Zeit gehabt habe. Und Trainer Klaus Augenthaler („Ein schweres Stück Arbeit“) gab zu, man sei lange „zu gierig, hektisch und verkrampft“ gewesen und knurrte auf die Frage, ob es Höhepunkt seiner bisherigen Trainerkarriere sei, unter den 16 Besten in Europa gelandet zu sein: „Ich denke schon.“ Gegner im Achtelfinale ist entweder Eindhoven, Porto, ManU, Liverpool oder Barcelona.

Auf dem Weg dahin hatte sich Bayer lange gequält, schwache Leute durchgeschleppt (Freier, Ponte) und war mit Doppeldusel durch den überragenden Abräumer Juan (51. Minute) in Führung gegangen: Erstens lag ein schwerer Fall von Abseits vor, zweitens üble Torwarttölpelei. Danach zeigten sich die Ukrainer im Fußball ähnlich unfähig und erfolglos wie bei Wahlmanipulationen oder Giftanschlägen.

Man habe „Spieldisziplin vergessen“, bekannte ihr Chefcoach Josef Szabo, einige Spieler haben „eine Misere-Leistung“ abgeliefert: „Die Mannschaft hat so viele Fehler gemacht wie in den letzten fünf, sechs Spielen zusammen.“ Blau-weiß-orange gestreift war die Krawatte des Trainers – politisch das klarste Nichtbekenntnis im Land der symbolischen Farbdemonstrationen. Und ähnlich unentschieden hatte Dynamo auch auf unentschieden zu spielen versucht. Entschlossener waren sogar die Leverkusener Ordner, die in leuchtendem Orange antraten und so dem nur spärlich gefüllten Gästeblock gastfreundliche Solidarität zeigten.

Nur Bayers Bester, der nimmermüde Dauerwirbler und Torschütze Andrej Woronin, traute sich zu lachen und zu feiern („Ich genieße den Abend“). Der Langmähnige war der einzige Ukrainer, der offensiv Passables zustande gebracht hatte, viele engagierte Soli, die Ecke zum 1:0, dazu ein krachender Pfostenschuss und eben das spät entscheidende 2:0 (77.), nachdem der elegante Bernd Schneider einen Kiewer wie eine standhafte Kiefer umkurvt hatte. Woronin, gelobt vom Trainer („Er hat die Mannschaft mitgerissen“), gab nachher den Anti-Ramelow, strahlend wie sein heimatliches AKW in Tschernobyl: „Ich wusste, die ganze Ukraine guckt live, auch meine Eltern. Das war das Spiel meines Lebens.“ Und entschwand lachend mit dem Hinweis, jetzt werde er mit seiner Gattin „erst mal ein Weinchen trinken“. Verglichen mit der nüchternen Bayer-Feier ringsum klang das wie ein Bekenntnis zum Alkoholismus.