Liebling: Welt schauen

Prunksters (11) – die wöchentliche Kolumne aus den USA von Henning Kober. Heute: Trauer um Victoria

Glück scheint an diesem Sonntag eine Massenbewegung. Vater und Sohn schlagen Bälle. Jessica-Simpson-Mädchen hüpfen auf hohen Schuhen zum Tee in „Tavern on the Green“. Bernhardiner von der Upper East Side ziehen zwei bekiffte Dogwalker hinter sich her. Auf „The Lake“ rudern irgendwie Vertraute in Nussschalen. Der Central Park ist eine Villa Honigmond. Nur Antoines Gesicht weint tränenlos. Er schaut in den Himmel. Düsenflieger kreuzen da durchs Blau. In einem von denen sitzt sie jetzt.

Antoine spielt an einem Gummiband in seinem Haar. Vorher war er am Flughafen, da hat er zwei schwere Koffer getragen. Victorias Ticket ist One-Way. Nach Monserrat zur Mutter. „Stell sie dir vor wie das Wunder zu meinem Stevie.“ Er sucht nach besseren Worten. Schnappt dann sein Nokia auf und zeigt Bilder. Ein radikal hübsches Mädchen. Schwarzes T-Shirt, weißer Print: „child of our revolution“. Sie sieht aus wie die junge Aaliyah.

Als die Polizei hinter Antoine rennt, weil er das Fenster im Haus seines Freundes einschlägt, lügt sie für ihn. Zuvor hatte er das Gas am Herd angelassen und den Schlüssel verloren. Ihr Geburtstag ist einen Tag vor seinem. Er ist 18, sie zwei Jahre jünger. Auf der Fahrt mit den Freunden durch die Nacht zurück von Long Island schläft sie auf seinen Beinen. In Las Vegas kauft sie Cowboy-Hüte. „Welt schauen“ ist ihr Liebling. Und jetzt? „Chaos“, bestimmt Antoine seine Stimmung. „In meinem Kopf schlagen sich die Gedanken.“

Es gibt einen Grund, warum Victorias Mutter auf den Rückflug in die Karibik bestand. Der Bruder ihres geschiedenen Mannes hat seinem Sohn, Victorias Cousin, eine Kugel in den Bauch geschossen. Er ist nicht tot, aber der Onkel trinkt sich tot. Es ist eine gefährliche Gegend, die Nord-Bronx, „da wohne ich mit meinen Siblings“. Vier kleine Brüder, zwei kleine Schwestern, die Mutter, zwei Hunde, eine Katze. Alle groß geliebt. Antoine ist keiner, der sich in den Finger schneidet um etwas zu spüren. Er will Tierarzt werden. Arbeitet in den Ferien im Community Center. Aber jetzt ist es nur: Scheiß Schmerz. Das verdammte Fragezeichen. „Glaubst du, ich seh sie wieder?“ So eine Frage, auf die ein schnelles Ja genauso falsch wie keine Antwort ist.

Neben uns auf dem Felsen streckt sich eine Chanel-Lady lang, bräunt ihren dicken Lippenstift. „Wie meine Großmutter“, sagt Antoine, seine Lippen schieben sich zum ersten Mal zu einem Lachen.