Ohne Ass im Ärmel

Wie teuer ist ein Opelaner? Das wissen nur Manager. Die Betriebsräte hatten daher schlechte Karten

VON HANNES KOCH

Die Beschäftigten bei Opel sind dabei, zu verlieren. Der Konzernvorstand hat sich mit seinem Einsparziel weitgehend durchgesetzt. 10.000 Stellen werden gestrichen – allerdings langsam, um den Schmerz zu reduzieren. Nach mehrjähriger Parkdauer in externen Beschäftigungsgesellschaften wird für viele Arbeiter das Ergebnis freilich dasselbe sein: die Erwerbslosigkeit.

Die Verhandlungen enden auf diese Art, weil die Beschäftigten von Anfang an schlechte Chancen hatten. Das liegt auch an dem Umstand, dass den Arbeitnehmern die notwendigen Informationen fehlen, um in der öffentlichen Auseinandersetzung zu punkten. Besonders bemerkbar macht sich die grundsätzliche Asymmetrie der Information bei den Lohnkosten, dem entscheidenden Thema. Der Vorstand hat es leicht: Er argumentiert, dass die Stundenlöhne der deutschen Beschäftigten im internationalen Vergleich angeblich zu hoch sind.

Eine beliebte Statistik etwa stammt vom Bundesverband der Automobilindustrie. Bei den Lohnkosten steht die deutsche Autoindustrie ihr zufolge an der Spitze. Inklusive aller Nebenkosten und Steuern schlügen hierzulande 33,08 Euro zu Buche (Arbeitgeberbrutto) – in Frankreich dagegen nur 22,65 Euro. Ein Drittel mehr Lohn als im Nachbarland – das ist ein Argument, mit dem die Betriebsräte auch bei Opel in die Defensive gedrängt werden. Denn Frankreich ist mit seinen Marken Peugeot, Renault und Citroën ein starker Konkurrent der hiesigen Autoindustrie.

Auch die Daten der Industriegewerkschaft Metall belegen eine Lohndifferenz zu Frankreich. Das Durchschnittseinkommen der Opel-Arbeiter liegt nach IG-Metall-Angaben bei 2.600 Euro im Monat, was rund 17 Euro pro Stunde macht (Arbeitnehmerbrutto). Das staatliche französische Statistik-Institut Insee gibt den Lohn für männliche Arbeiter rund um Paris mit 10,76 Euro an – wobei die Sozialabgaben hinzugerechnet werden müssen. Unter dem Strich bleibt dennoch eine der Öffentlichkeit schwer zu vermittelnde Besserstellung der deutschen Arbeiter. Dass die Franzosen um einiges weniger verdienen als die deutschen Kollegen, liegt unter anderem an der Zersplitterung der französischen Gewerkschaften und dem niedrigeren Organisationsgrad der Beschäftigten im Nachbarland.

Nun sollte es für die IG Metall ziemlich einfach sein, diese Zahlen zu kontern. Die Strategie erster Wahl: Man setze die Löhne ins Verhältnis zur Produktivität. Motto: Der höhere Verdienst in Deutschland ist gerechtfertigt, weil die deutschen Beschäftigten in einer Arbeitsstunde mehr herstellen als ihre französischen Kollegen.

Linke Ökonomen und Gewerkschafter argumentieren deshalb mit den so genannten Lohnstückkosten: den Lohnkosten pro produziertes Getriebe, Kotflügel oder Automobil. Angaben des Statistischen Bundesamtes belegen, dass die Lohnstückkosten in Deutschland in den vergangenen Jahren im Vergleich zu Frankreich und anderen Konkurrenten zurückgegangen sind.

Doch trotzdem bleibt die Argumentation schwierig. Ein Grund: Die Zahlenreihen bilden die gesamte Volkswirtschaft ab, allenfalls noch einzelne Branchen. Über Unternehmen gibt es dagegen konkret keine Angaben. Denn sie gelten als Firmengeheimnis.

So tappen auch die Betriebsräte und Aufsichtsräte der Arbeitnehmer bei Opel im Dunkeln. „Bei den Lohnstückkosten haben wir keinen Vergleich mit den General-Motors-Werken in Spanien oder Schweden“, sagt Betriebsrat Armin Herber. Ulrich Eckelmann vom Vorstand der IG Metall argumentiert zwar mit der höheren Produktivität, sagt aber auch: „Da wird unsere Argumentation sehr weich.“ Dass die Zahlen fehlen, liege an einem prinzipiellen Problem, meint Eckelmann. Es sei nicht möglich, auf der Ebene der konkreten Produktion einen Vergleichsmaßstab für die Berechnung der Lohnstückkosten zu definieren. Denn in Deutschland und Frankreich wird nie das genau gleiche Auto unter exakt identischen Bedingungen gefertigt.

Abgesehen von diesen Problemen kommt aber ein anderes hinzu. Die Pressestelle von Opel lässt erkennen, dass es sehr wohl Zahlen über die Lohnstückkosten gibt. Veröffentlichen möchte man sie allerdings nicht. Offenbar gelingt es dem Vorstand von Opel auch, die internen Daten selbst vor den Aufsichtsräten der Beschäftigten zu verbergen. Ein Problem der Mitbestimmung: Die real existierenden Möglichkeiten in Unternehmen wie Opel, Siemens oder DaimlerChrysler reichen nicht aus, um eine effektive Kontrolle der Vorstände durch die Beschäftigten zu gewährleisten.

Mitarbeit: Dorothea Hahn