Abzocker im Norden

Die Metallunternehmen wollen länger arbeiten lassen. Einen Lohnausgleich haben sie dafür nicht vorgesehen

Immer mehr norddeutsche Unternehmen der Metallindustrie versuchen aus dem gültigen Flächentarifvertrag auszuscheren. Das Ziel: die Arbeitszeiten der Beschäftigten möglichst ohne Lohnausgleich zu verlängern. Bereits 44 Betriebe zwischen Rostock und Oldenburg hätten eine entsprechende Abweichung von den betrieblichen Vereinbarungen beantragt, wie Frank Teichmüller, scheidender Chef der Industriegewerkschaft Metall Küste, gestern in Hamburg mitteilte.

Bei diesem inzwischen „flächendeckenden Phänomen“ handele es sich in den meisten Fällen um „reine Abzockerei“, der vom Arbeitgeberverband Nordmetall kräftig forciert werde. Teichmüller: „Viele der Unternehmen haben eine exzellente Finanzlage, so dass es nicht um die Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern nur um die weitere Verbesserung der Ertragslage gehe.“ Dabei dürfe eine entsprechende Abweichung tarifrechtlich nur beantragt werden, wenn Arbeitsplätze anders nicht gesichert werden könnten.

Zu den Unternehmen, die versuchen eine Arbeitszeit-Verlängerung auf diesem Wege durchzusetzen, gehören die Siemens-Werke in Bremen, Kiel und Rostock, der in Hude bei Oldenburg ansässige Produzent landwirtschaftlicher Maschinen Amazone oder die Hamburger Philips-Tochter Philips Semiconductors. Dabei macht Teichmüller eine deutliche „Tendenz zur Erpressung“ der Arbeitnehmer aus. Immer öfter würde den Beschäftigten damit gedroht, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert und Investitionen nicht getätigt werden, wenn sie nicht einwilligen würden, unbezahlte Mehrarbeit zu leisten. In Mecklenburg-Vorpommern würden sogar bereits die Banken von Kreditnehmern im Werftenbereich das Ausscheren aus den Tarifverträgen zur Voraussetzung weiterer Darlehensgewährungen verlangen.

„Wir werden uns wehren, so gut wir können“, kündigte Teichmüller an und warnt vor einer „volkswirtschaftlichen Spirale nach unten“. Wenn Tarifverträge selbst von profitablen Unternehmen ausgehebelt werden, nur um den Profit weiter zu steigern, seien mehr Arbeitslose und weitere Löcher in den Rentenkassen und Haushalten die logische Konsequenz. MARCO CARINI