Trenchcoat im Spiegel

Rollenspiele at their best: Video- und Spiegel-Selbstporträts im Harburger Bahnhof

Auf einer Eisenbahnbrücke kämpft eine Frau im Trenchcoat mit einer spiegelgleichen Doppelgängerin und wirft sie schließlich in den Fluss. Dazu fallen aus französischen Filmen zitierte Sätze von Selbstmörderinnen aus Liebesleid. Nachdem sie es im Video ausagiert hat, trennt sich die Akteurin von diesem Frauenbild, das trotzdem Teil von ihr zu sein scheint. Diese starke Aufspaltung eines Individuums ist Teil der Ausstellung Selbstporträt/Identität im Harburger Bahnhof, mit der diese junge Kunstinstitution sich in den zurzeit auffälligen Reigen künstlerischer Selbstbefragungen einreiht.

Wie in der aktuellen Ausstellung selbst, inszeniert in der Galerie der Gegenwart halten auch hier Künstler der Welt den Spiegel vor – und das Erste, was sie darin erblicken, ist die eigene Person. Diese Entdeckung kann formal oder psychologisch betrachtet werden, auf soziale Rollenbilder hin untersucht werden oder gar die Frage nach der generellen Möglichkeit von Repräsentanz stellen.

Durch Verweise auf die Kunstgeschichte sieht sich etwa der Hamburger Boran Burchhardt bestimmt. In seinen rückseitig verspiegelten Foto-Ikonen identifiziert er sich durch demonstrative Bildzeichen mit anderen großen Künstlern.

Auch die Literatur beeinflusst das Künstlerbild: Die in Berlin lebende Mathilde ter Heijne kämpft nicht nur in ihrem fünfminütigen Videoloop mit filmischen Ebenbildern, sie schlüpft auch mit Hilfe ihr gleichender Puppen in die Rollen von in Romanen beschriebenen Künstlerinnen aus dem alten Kanada, dem Frankreich der Zwanziger und dem Japan der Sechziger.

Mehr noch als alle Theorie bestimmt der tägliche Alltag auch das Künstlerleben. So porträtiert die Hamburgerin Pitt Sauerwein zwischen Küche und Klo, Wohnsiedlung und rumänischem Meeresstrand sich und ihre Familie per Selbstauslöser. Doch kann etwas als Dokument gelten, das penibel inszeniert ist? Vielleicht findet sich das einzig dingfest zu machende Personenbild letztlich in den Polizeiakten. So zeigt der Wiener Bernhard Fruehwirth die extremste Position: Bei ihm ist die Identität des Künstlers nur noch indizienhaft aus den Resten einer verbrannten Ateliereinrichtung zu rekonstruieren. Hajo Schiff

Mi–So 14-18 Uhr, Kunstverein Harburger Bahnhof; bis 19. 12.