Kirche braucht Events

Zionsgemeinde lud 2.500 Kirchensteuerzahler zum Gospelabend ein – das Haus war voll. Ein Gespräch

taz: Herr Sanders, Sie haben zu drei Terminen um Weihnachten gemeindeferne Kirchensteuerzahler zum Gospel-Konzert eingeladen. Schon am Sonntag kamen Hunderte. Wie fühlt man sich als Pastor, wenn die Kirche so voll ist wie nie – nicht wegen der Predigt, sondern wegen Gospel-Musik?Hans-Günther Sanders: Ich habe mich sehr gefreut. Feuerpolizeilich waren wir allerdings an der Grenze – so dass ich froh war, dass nur einfach alle Plätze besetzt waren.

Wenn Sie Menschen vor allem mit Musik oder Events erreichen – schließen Sie daraus, dass Kirche sich ändern muss?Ja und nein. Ja, weil viele unserer Formen katastrophal veraltet und verstaubt sind. Nein, weil die Botschaft so neu ist wie sie alt ist. Sie ist hervorragend.

Man sagt, Sie hätten Unternehmensberater im Haus gehabt …hab’ ich, klar.

Sprechen Sie seitdem so?Nein, das wusste ich zum Glück schon immer. Aber auch, dass unsere Botschaft kompliziert ist. Die Botschaft der Liebe hat mit Tränen zu tun, sie ist ja nicht nur Frohsinn. Ein Beispiel: Ich war ein katastrophaler Schüler. Meine Mutter war sehr geknickt darüber. Ein Freund meiner Eltern hat sie getröstet: „Ein Kind so vieler Tränen kann nicht verloren sein.“ Er hatte Recht, die Tränen waren der Ausdruck der Liebe meiner Eltern zu mir – und das ist unsere Botschaft. Jesus war doch nicht, wie man amerikanisch sagen würde, „a success“. Die Bibel macht mich nicht zum Erfolg – sie macht mich zum liebenden Menschen.

Wieso glauben Sie, dass diese Botschaft beim Gospel-Konzert angekommen ist?Weil ich gesehen habe, mit welchen Gesichtern die Menschen das Haus verließen, viele haben sich bedankt, auch beim Chor.

Haben Sie keine Angst vor Verflachung? Vor lauter Menschen, die nur singen, klatschen und feiern wollen?Das kann passieren. Man muss gucken, dass es nicht nur Happy-day-Geseiere gibt. Aber bei uns wird – auch mit unserer afrikanischen Gemeinde im Haus – sehr geschwisterlich gerungen. Und wenn wir dann mal gemeinsam so singen wie am Sonntag, dann ist das die andere sehr erfüllende und schöne Seite.

Sie hatten 2.500 „Karteileichen“ eingeladen, Menschen von denen Sie sonst nicht viel sehen. Was steckt dahinter?Die Zugehörigkeit zur Kirche ist gerade für norddeutsche Protestanten etwas sehr Kompliziertes. Ich meine, man darf nicht alle für Karteileichen halten, die nicht zum Gottesdienst kommen. Das ist unverschämt gegenüber Menschen, die uns doch ihr Geld ins Kirchensäckel geben. Denen muss man danken.

In anderen Großstädten will man Kirchen verkaufen. Machen die was falsch?

Ich meine, Kirche muss mehr auf Menschen zugehen. Der Ansturm am Sonntag zeigt, dass es Bedarf gibt. Wir müssen mehr an Zusammenkünften und auch Konzerten anbieten. Die Unternehmensberatung hat uns beispielsweise auch gelehrt, dass wir Ehrenamtliche und Hauptamtliche bitten müssen, das Haus aufzuschließen und auf andere freundlich zuzugehen. Wir hatten unseren Laden jahrelang etwas verkommen lassen, nach dem Motto: Nur die Botschaft zählt. Die Form ist egal. Aber das stimmt nicht ganz. Man muss also die Häuser ansprechend machen – und sich selbst darin. Heute kommen über tausend Menschen pro Woche zu uns ins Haus, davon 130 Jugendliche. Von den Jugendleitern sind viele nicht einmal getauft. Denen sage ich, dass ich ihre Arbeit schätze, aber auch, dass ich Taufe gut finden würde. Die wollen nicht. Aber sie gehören zu uns.

Mit dieser Haltung bekommen Sie in der Kirche doch gerade Gegenwind.

Ich weiß, dass die Kirchenleitung rekrutieren möchte. Aber an dem Punkt ist mir das völlig gleichgültig. Natürlich heißt das, dass langfristig Gelder für Pastoren in Frage gestellt sind. Aber wenn die ihre Sache wirklich gerne machen, dann müssen sie bereit sein, auch als Person draufzugeben. Weniger Ansprüche zu haben. In jedem Fall müssen wir die Menschen einladen – mit uns über die Kirche der Zukunft zu reden. Fragen: Eva Rhode