Reiche werden reicher, die Armen ärmer

Was Bundespolitiker derzeit öffentlich aufregt, haben Fachleute lang belegt – und blieben ungehört: Reiche Menschen verdienen immer mehr, arme immer weniger. Das hat System, zeigt jetzt eine Studie der Bremer Arbeitnehmerkammer

Der „Gewinnexplosion“ sei Dank: ein „Millionärsboom“ hat sich vollzogen

Bremen taz ■ Inzwischen ist es auch ganz oben angekommen: „Obszön“ nannte es jetzt Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), wie sich Spitzenmanager ihre Gehälter erhöhten, während sie ihren Arbeitnehmern das Sparen predigten (siehe taz von gestern). Eine Studie aus Bremen liefert jetzt die Fakten zu der schnöden wie wahren Erkenntnis, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden.

Hans Jürgen Kröger von der Arbeitnehmerkammer hat sich die Einkommensteuerstatistik von 1998 vorgenommen und sie mit den Zahlen von 1995 verglichen. Aktueller kann die Studie nicht sein, so Kröger, denn die amtliche Statistik liege aufgrund später Abgabe und der „oft langwierigen Bearbeitungsdauer komplizierter Einkommensteuererklärungen der Superreichen“ erst Jahre später vor.

Die Zahl der Einkommensmillionäre ist in diesen drei Jahren um mehr als die Hälfte gestiegen. Zählten 1995 noch 216 Menschen dazu, waren es drei Jahre später 341 – ein „Millionärsboom“ habe sich da vollzogen. Bremer Spitzenverdiener mit Gesamteinkünften von 500.000 bis einer Million D-Mark, also die Gruppe eins unter den Millionären, haben sich sogar noch stärker vermehrt, nämlich um 63 Prozent. Mit seiner Millionärsdichte liegt Bremen im westdeutschen Mittelfeld, gleich hinter Bayern, auf Platz 1 steht Hamburg, am Schluss das Saarland.

Die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist von 1995 bis 1998 um zwölf Prozent gestiegen. Mit einer Sozialhilfedichte von 1.016 SozialhilfeempfängerInnen auf 10.000 Einwohner ist Bremen hier Nummer eins, gefolgt von Hamburg mit 824. Dass die Extreme von Reich und Arm hier wie in Hamburg derart aufeinander treffen, liege, so Arbeitnehmerkammer-Mann Kröger, auch an der Form des Stadtstaates, wo sich diese Phänomene konzentrieren.

Zwischen den Polen Arm und Reich zeigt die Ungleichheit weitere Gesichter. Knapp zwei Drittel mit Einkommen unter 60.000 Mark erzielten 1998 noch nicht einmal ein Drittel aller Gesamteinkünfte. Über die Hälfte der Gesamteinkommen, nämlich 54 Prozent, wurde von den Menschen verdient, deren Einkommen zwischen 60.000 und 250.000 Mark lag. Fast ein Fünftel, genau: 18,4 Prozent, allen Einkommens wurde von gerade mal 1,5 Prozent aller Steuerpflichtigen eingenommen.

Die Armen sind mehr geworden: Die Zahl der unteren und mittleren Einkommensbezieher bis 100.000 Mark, die mit 86 Prozent aller Steuerzahler ihr Gros ausmacht, ist von 1995 bis 1998 noch einmal um acht Prozent gesunken – diese acht Prozent sind nach unten gerutscht: in die Arbeitslosigkeit oder in niedrigere Einkommen.

Derweil werden die Reichen reicher: Eine „Gewinnexplosion“ hätten die oberen Einkommensklassen von 1995 bis 1998 verzeichnen dürfen. Gewinne sowie Zinsen machten den Hauptanteil der Großeinkommen ab 250.000 Mark aus. Während die Arbeitnehmereinkommen zwischen 1995 und 98 um 14 Prozent gesunken seien, wuchsen Gewinne und Zinsen zwischen 28 und 117 Prozent.

„Ich habe nichts dagegen, dass die Leute reich werden“, sagt Hans Jürgen Kröger. Aber der „übermäßige Vorteil“ der Reichen „steht irgendwann in keinem Zusammenhang mehr mit ihrer Leistung.“ Kröger glaubt nicht, „dass man diese Entwicklung verändern kann.“ Er berichtet von anderen Studien mit ähnlichen Ergebnissen, die „wenig von Interesse fürs politische Handeln“ seien. „Aber“, so Kröger, „das entbindet uns nicht davon, diese Entwicklung dennoch zu benennen.“ Susanne Gieffers