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Archiv-Artikel

Spätkauf: Geschenktipps der Kulturredaktion

Sandsack

Was hilft, wenn die Zeiten rau sind? Ein Sandsack. Für die vergleichsweise bescheidene Summe von 70 Euro ist ein Exemplar aus Kunstleder zu haben, hinzu kommt die Füllung, die nicht etwa aus Sand, sondern aus Reis, Stoffresten oder Sägespänen besteht. Fehlt nur noch ein geeigneter Platz in der Wohnung, und schon kann das Programm zum Abbau von Aggressionen beginnen. Denn so ein Sack nimmt Tritte und Schläge entgegen, und wenn er zurückschwingt, verlangt er schnelle Reaktion. Das Geräusch der Ketten, die ihn, während er sich hin- und herbewegt, halten, ist dabei Musik in den Ohren. Ich selbst mag Sandsäcke, seit ich während der Documenta 9 aushilfsweise im Kasseler Museum Fridericianum arbeitete. Der Aktionskünstler Wolfgang Flatz, der später durch den Abwurf einer toten Kuh über einem Berliner Hinterhof unangenehm auffallen sollte, hatte im dritten Stock des Gebäudes für „Bodycheck“ mehrere Dutzend Sandsäcke installiert. Sie hingen in dichten Reihen, jeder war so schwer wie ein erwachsener Mensch. Die Besucher hatten ihren Spaß: endlich eine Kunst, die man berühren durfte! Kaum waren sie bis zur Hüfte zwischen den schwarzen Säcken verschwunden, mussten sie merken, dass diese Kunst in alle Richtungen ausschlug. Jeder Stoß, den man einem der Säcke verpasste, setzte sich unkontrolliert fort, bis er einen hinterrücks recht bös erwischte. CN

Schokolade

Caffè Florian, Piazza San Marco, Venizia

Warum soll man sich nicht selbst auch etwas gönnen? Im Stress der letzten Weihnachtsbesorgungen? Daher ein Vorschlag, der dank Volare und anderer Billigflieger inzwischen auch für Normalsterbliche im Bereich des Möglichen liegt. Man buche also für heute oder morgen einen Flug nach Venedig, lasse sich den Canale Grande hochschippern, steige Accademia aus, bummle ein wenig umher, um schließlich am Markusplatz zu landen. Dort lasse man sich im Caffè Florian – immerhin am 29. Dezember 1720 von Floriano Francesconi eröffnet – für eine Tasse heiße Schokolade nieder. Im Moment, ich kann es beschwören, sind in Venedig so gut wie keine Touristen. Man hat das Café und seine 120 Kellner – okay, gerade zähle ich fünf – für sich allein; gleichgültig ob man das Chinesische, das Orientalische oder das Zimmer der Berühmten Männer frequentiert. Nachdem man die Schokolade genossen hat, denke man an die Lieben zu Hause. Um deren exklusivem Weihnachtsgeschenk willen hat man ja die ganze Tour gemacht, nicht wahr? Man kaufe also noch wunderhübsch verpackte Kaffeebohnen in Schokolade (Chicchi di caffè ricoperti al cioccolato) und vor allem die köstlichen gerösteten, mit Schokolade überzogenen Mandeln (Mandorle Tartufate). In rund acht Stunden lässt sich das durchaus erledigen. WBG

Altes Besteck

Zugegeben: Dieser Tipp ist auf den ersten Blick nichts für Liebhaber origineller Geschenkideen. Dafür gibt es wenig, was gegen ihn sprechen dürfte. In der derzeitigen Lage unserer Gesellschaft gibt es sogar eine Reihe großer Erzählungen, die sich mit ihm verknüpfen lassen. Es geht darum, dieses Jahr Besteck zu verschenken. Auf einem beliebigen Flohmarkt kann man sich damit eindecken: Besteck gibt es da ständig in allen Größen, Formen und Preisklassen. Dies Geschenk zu besorgen ist also kein Problem. Eine kleine Schwierigkeit zu überwinden gibt es dennoch: Man braucht bei der Überreichung ein wenig Selbstsicherheit, weil es bei originalitätsfixierteren Personen auf Unverständnis stoßen könnte. Und hier kommen die erwähnten großen Erzählungen ins Spiel.

Hauptstadtbewohner und sonstige Berlinliebhaber könnten etwa darauf verweisen, dass die Metropolenwerdung von Deutschlands größter Stadt immer noch auf Schwierigkeiten stößt. Es fehlt nach allgemeiner Ansicht dazu eine genügend breite bürgerliche Schicht; die paar zugezogenen Bundesminister, Popschriftsteller und Medienarbeiter reichen nicht. In einschlägigen Zirkeln wird daher diskutiert, dass man diese bürgerliche Schicht eben neu erfinden müsse, und hier kommt also das Besteck ins Spiel. Jedenfalls ist es derzeit schick, Gäste mit altem, auf Flohmärkten zusammengekauften Besteck zu bewirten. Eine bürgerliche Klasse aus einem Guss, drückt das aus, wird Berlin also nicht zustande bringen, aber immerhin arbeitet man daran, die Tradition mit dem Heute zu verbinden. Im übrigen Deutschland kann man darauf verweisen, dass die derzeitigen politischen Großprojekte ja auch immer in Kompromissen enden. Warum also nicht durch ein uneinheitliches Besteck aus schönen Einzelstücken bewusst zum provisorischen Durchwurschteln stehen? DRK

DVD-Player

Es gibt immer diesen Moment, an dem Innovation unvermeidlich wird. In den Achtzigerjahren kam irgendwann der Zeitpunkt, wo Videogeräte nicht mehr als Ausweis schlechten Geschmacks gewertet wurden, sondern als notwendiges Aufzeichnungs- und Abspielgerät. Irgendwann in den Neunzigerjahren war es dann so weit, dass Mobiltelefone nicht mehr nur in den Händen der Unterschichten gesichtet wurden, sondern zum unverzichtbaren Accessoire für jedermann aufstiegen. Und nun hält eben der DVD-Player Einzug in jeden guten Haushalt.

Gerade Intellektuelle sind bekanntlich meist etwas langsam, was technische Innovationen betrifft. Und speziell in Deutschland gefallen sie sich traditionell in der Rolle der Technikskeptiker und Bedenkenträger. Darum ist ein DVD-Player in diesem Jahr das ideale Geschenk für jeden, der noch keinen hat. Im letzten Jahr wäre ein DVD-Player von manchen noch als Luxusartikel empfunden worden – schön, aber ein wenig unnötig. Spätestens diese Weihnachten aber ist es ein so genanntes praktisches Geschenk. Man sollte ein billiges Exemplar erstehen: Damit er auch die schwarz gebrannten Kopien von „Findet Nemo“ und „Good Bye, Lenin“ abspielt. BAX

Das gute Buch

Karen Duve, „Weihnachten mit Thomas Müller“. Illustriert von Petra Kolitsch. Eichborn Verlag, Berlin 2003, 9,95 €

An dieser Stelle ausgerechnet einen Kulturträger zu empfehlen gehört natürlich nicht gerade zum Originellsten. Trotzdem muss heute und hier eine Ausnahme gemacht werden und ein einfaches Buch vorgeschlagen werden, ein Weihnachtsbuch für Kinder noch dazu. Es heißt „Weihnachten mit Thomas Müller“ und ist von Karen Duve. Bislang hat Karen Duve eher hellsichtige, sarkastische, sehr böse und sehr lustige Erwachsenengeschichten übers Unglücklichsein und Scheitern geschrieben. Genau dieser Röntgenblick und ihr trockener, beißender Humor sind es nun auch, die ihre Weihnachtsgeschichte über Thomas Müller, den verloren gegangenen Teddy, auch zum tollen Geschenk für Erwachsene macht. Das Buch von Karen Duve ist rührselig, aber so geschrieben, dass die heile Welt, um die es gehen soll, auch ein wenig kippelt. Zum Beispiel mag die Familie Wortmann, die Familie des Teddys, ja ganz nett sein, ein bisschen komisch ist sie aber schon. Herr Wortmann tut etwa bedrückt, weil er nicht wie erwartet seine Pocahontas-Bettwäsche unterm Weihnachtsbaum findet. Und Frau Wortmann freut sich über ihre Geschenke, obwohl sie nur einen Kaktus und einen Werkzeugkoffer bekommen hat. Was vom Standpunkt der kulturinteressierten Geschlechterforschung aus betrachtet weitere sehr interessante Geschenketipps beinhaltet. Frauen, schenkt euren Männern Pocahontas-Bettwäsche, Männer, schenkt Euren Frauen Werkzeugkoffer. SM

Schlimmer Finger

Wer sagt denn eigentlich, dass auf Weihnachtsbasaren außer ohrenbetäubender Besinnlichkeit und Glühweinplörre nur kunsthandwerklicher Schrott zu finden wäre? Mit geübtem Blick entdeckt sie der aufmerksame Besucher allerorten: handgehäkelte Fingerpuppen aus Peru – von Kindern, für Kinder und alle, die es geblieben sind.

Denn ob man sich nun beim Kerzenanzünden die Kuppe verbrutzelt oder nächtens in der Keksdose einklemmt, beim Karpfenausnehmen mit dem Fischmesser Fleischwunden schlägt oder sich nur an den kleinen roten Punkten stört, die beim lästigen Hantieren mit Tannengrün entstehen – stets ist zu den Feiertagen mit unansehnlichen oder gar schlimmen Fingern zu rechnen. Fingerpuppen schaffen hier Abhilfe und sind daher ein gern gesehenes Geschenk. Vorgezogen überreicht und übergestreift entbinden sie den Beschenkten aller lästigen Feiertagspflicht. Doch auch nach der Bescherung verdecken sie die hässlichsten Schrunden der glücklichen Stunden. Zu haben sind die fröhlichen Fingerlinge in allen erdenklichen Ausführungen, als lustiges Zebra für den Zeigefinger, als keckes Nashorn für den Mittelfinger, als stummer Fisch für den Daumen. Für 2,50 Euro pro Stück sind die Häkelpuppen ausgesprochen wohlfeil, wenn sich aufwendige Geschenkinvestitionen vielleicht schon nicht lohnen oder aufgrund der individuellen wirtschaftlichen Lage nicht mehr möglich sind. JHW

Fell und Federn

Andy Rouse/Louise Angwe, „Marakele: the Making of a National Park“. Paperback Africa Parks, 696 Seiten, ca. 51 €

Es ist zwar kein Jurassic Park, aber mindestens eine Landschaft aus dem Paläolithikum. Hier wachsen Cyad-Palmfarn-Bäume über fünf Meter hoch und im Lapalanga-Fluss südlich der rötlich schimmernden Waterberg-Mountains hat kein Mensch jemals gebadet. Hier trifft man höchstens Breitmaulnashörner, ab und zu gesellt sich auch ein Rudel Hyänen dazu oder eines von 800 Kapgeier-Brutpaaren, die sonst vom Aussterben bedroht sind. Denn 250 Kilometer im Norden von Johannesburg liegt ein Paradies für Tiere: Der südafrikanische Marakele-Nationalpark wurde 1988 gegründet und gilt als Naturreservat mit einem weltweit einmaligen Konzept aus Ökologie, Artenschutz und Tourismus, bei dem man selbst an Zugänge für Rollstühle gedacht hat. Anders als in populären Zoologie-Bildbänden sucht der Fotograf Andy Rouse nicht nach idyllischen Szenen oder putzig gähnenden Nilpferden, sondern konzentriert sich auf die Typologie hinter den physiognomischen Details. Ganze Kapitel sind der Beschaffenheit etwa von Haut, Fell und Federn gewidmet, weil Tiere schon aus Gründen der Tarnung stets auf Äußeres achten. Aber auch an den Hufen kann man gut erkennen, was für feine Unterschiede die Natur zwischen einem Kudu-Bock, einer Eland-Antilope und einem Berg-Nyala macht. HF