Detailbesessenheit und Demut

Bioweinbau ist ein Abenteuer der anderen Art: Klaus Zimmerling hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen – mit vier Hektar an den Hängen der Elbe

Ein Regentag genügt, schon ist die Arbeit eines ganzen Jahres gefährdet

VON TILL EHRLICH

Sanft wie Tiere gehen die Hügel neben dem Fluss – die Landschaft in Pillnitz bei Dresden wirkt malerisch und anachronistisch zugleich. Hier in Sachsen, unmittelbar am unberechenbaren Lauf der Elbe, im nordöstlichsten Weinbaugebiet Deutschlands, wachsen die Weine von Klaus Zimmerling. Er bewirtschaftet nur vier Hektar Reben – strikt biologisch.

Das kleine Gut liegt am Fuße der Pillnitzer Rysselkuppe. Eine Steillage, die rasch ansteigt. Sie ist von Granitterrassen durchzogen. Es ist ein Weinberg der besonderen Art: eine winzige Südlage mit tiefgründigen Böden aus verwittertem Fels. Das granitartige Urgestein ist etwa eine Milliarde Jahre alt. Diese Dimension kann man in Zimmerlings Weinen schmecken: Die intensive mineralische Note ist sozusagen der Fingerabdruck der Urzeit, der diese Weine unverwechselbar macht. Hinzu kommt die Sinnlichkeit der Rose – manche Weine erinnern an den Duft gelber Rosen.

Klaus Zimmerlings Weine sind das Resultat von Detailbesessenheit, Demut und nicht zuletzt Knochenarbeit. Der weitgehende Verzicht auf Technik bedeutet archaische Handarbeit in Keller und Weinberg. Dies ermöglicht ihm jedoch eine starke Identifikation mit der Arbeit. Zudem ist Zimmerlings Einsatz hoch. Bioweinbau in Sachsen heißt Weinbau am klimatischen Limit. Mit erhöhtem Risiko. Bis in den Sommer hinein können Spätfröste die jungen Triebe vernichten. Und im sächsischen Herbst können noch kurz vor der Ernte die Trauben von Pilzen oder Fäulnis befallen werden. Bedeutet, dass die Arbeit eines ganzen Jahres gefährdet ist. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb trotzt Klaus Zimmerling jeden Jahrgang der Natur ab. Das Resultat sind besondere Weine. Sie schmecken köstlich. Sie sind beseelt, berühren. Ein Gegenentwurf zur oft geschmacklichen Beliebigkeit konventioneller Weine.

Weinberge sind Sinngefüge, Mensch und Natur führen einen Dialog. Keiner dominiert den anderen – im Idealfall. Darin besteht der Reiz dieser Kultur. Wein ohne den Menschen wird zu Essig. Wein nur mit Technik wird belanglos wie etwa der Sound von Britney Spears. Jahrhundertelang war das Gleichgewicht von Mensch und Natur die Grundlage des Weinbaus. Ziemlich spät, erst im 20. Jahrhundert, hat sich das Gewicht im Weinbau verschoben. Technischer Fortschritt hieß die Zauberformel, die allmählich Winzer in Techniker und Chemiker verwandelt hat. Die Faszination des Weines bestand immer in seiner Vielfalt, auch in seiner Unberechenbarkeit. Allmählich wird Wein ein standardisiertes Produkt. Der Glaube an technisch Messbares und Machbares verdrängt die Erfahrung und das Gespür.

Früher haben Winzer die Reife der Trauben nach ihrem Geschmack bestimmt. Geerntet wurde, wenn die Trauben schmeckten. Heute wird jedoch die Reife meist nach technischen Analysewerten bestimmt. Besser wurde der Wein dadurch nicht. Viele Winzer vertrauen nicht mehr auf ihre Sinne und Erfahrungen. Der Wein entsteht oft nicht mehr im Weinberg, er wird im Keller „gemacht“.

Ökologischer Weinbau wendet sich gegen diese Entwicklung. Eigentlich geht es um die Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts von Natur und Mensch im Weinberg. Die Auflagen der verschiedenen Öko-Kontrollverbände ähneln sich: Verzicht auf Mineraldünger, chemisch-synthetische Pilzgifte (Fungizide) und Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) im Weinberg. Stattdessen wird mit Kompost und Gesteinsmehl gedüngt. Die Winzer müssen die Erträge reduzieren. Dadurch werden die Reben auf natürliche Weise widerstandsfähiger und die Traubenqualität steigt.

Durch Begrünung im Weinberg wird der Monokultur entgegengewirkt. Regenwürmer, Schnecken und Schmetterlinge kehren zurück. Schon nach zwei bis drei Jahren haben sich die Böden sichtbar erholt, der Schadstoffgehalt ist messbar niedriger als im konventionellen Weinbau.

Natürlich muss Biowein nicht automatisch besser schmecken als Wein aus konventionellem Anbau. Aber die meisten Bioweine liegen in ihrer Qualität deutlich über dem Durchschnitt. Vor allem, weil die Erträge niedriger sind. Ökowinzer produzieren zudem für eine Marktnische. Sie sind zur Qualität verdammt. Zudem ist die Identifikation mit dem Wein oft stärker.

Biowinzer müssen in kalten, feuchten Jahren alles riskieren, um die Ernte einfahren zu können. Besonders im nasskalten deutschen Herbst ähnelt der Ökowinzer einem Bergsteiger ohne Seil: Free Climbing im Weinberg. Ein Regentag genügt, schon ist die Arbeit eines ganzen Jahres gefährdet. Wenn dann die Trauben durch die Feuchtigkeit von aggressiven Pilzen befallen werden, das Spritzen von chemischen Pflanzenschutzmitteln aber für Biowinzer tabu ist, können wirtschaftlich ernste Situationen entstehen. Trotzdem, es ist gewiss kein Zufall, dass Bioweingüter wie Clemens Busch an der Mosel, Wittmann in Rheinhessen oder Klaus Zimmerling zur Qualitätsspitze in Deutschland gehören. Ihr Mut und Erfolg beweisen, dass ökologischer Weinbau auch in Deutschland eine Zukunft hat. Der wirkliche Gewinner aber ist der Weintrinker.