ISRAEL: SOLDATEN FRAGEN, WAS IHREN STAAT EIGENTLICH AUSMACHT
: Innerer Gerichtshof des Gewissens

Die Ankündigung von 13 aktiven Reservisten der israelischen Spezialeinheit Sayeret Matkal, bei künftigen Einsätzen gegen die Palästinensergebiete den Dienst zu verweigern, trifft die politische Führung an empfindlicher Stelle. In Frage steht die Identität Israels. Die Verweigerer sprechen von ihrer Sorge „um die Zukunft Israels als demokratisch zionistischer und jüdischer Staat“. Sie sehen dessen moralisches Selbstverständnis in Gefahr.

Der Vorwurf der israelischen Führung, die Verweigerer nutzten ihren militärischen Rang und das damit verbundene Prestige, um Parteipolitik zu treiben, geht ins Leere. Denn bei ihren Einsätzen sind die beteiligten israelischen Soldaten ständig mit Situationen konfrontiert, in denen sie den Tod von Zivilisten billigend in Kauf nehmen müssen. Darf man eine Menschenmenge unter Feuer nehmen, aus der heraus Schüsse abgegeben wurden, darf man Hamas-Aktivisten aufgrund einer israelischen Tötungsliste erschießen und dabei noch Unbeteiligte, darunter Frauen und Kinder, in den Tod reißen? Und kann man danach, wie das israelische Verteidigungsministerium meinte, sich beruhigt ins Bett legen? Es ist der innere Gerichtshof des Gewissens, vor dem jetzt verhandelt wird, was den Staat Israel eigentlich ausmacht.

Kein Wunder, dass jetzt wieder die Rede vom Dolchstoß in den Rücken der Armee die Runde macht und von dem „Krebsgeschwür“ der Verweigerer, das umgehend zu entfernen sei. Neurotische Reaktionen dieser Art erweisen nur, wie tief der Stachel sitzt. Eine Betrachtungsweise, die als Streitgegenstand nur die angemessene Reaktion auf den Terrorismus der palästinensischen Fundamentalisten ausmacht, greift zu kurz. Schon immer standen sich in der zionistischen Bewegung demokratische Positionen, die auf Ausgleich und friedliches Zusammenleben mit den Arabern zielten, und aggressive, expansionistische Strömungen, die die Rechte der Palästinenser negierten, gegenüber. Die Erklärung der Verweigerer ist deshalb kein vernachlässigbares Randphänomen. Sie trifft den Kern, das künftige Selbstverständnis Israels.

CHRISTIAN SEMLER