Billig zu einem hohen Preis

Laut dem „Schwarz-Buch Lidl“ unterläuft der Discounter zumutbare Arbeitsplatzbedingungen und setzt stattdessen auf McJobs, die schwer im Magen liegen. Alles im Dienste des Kunden?

VON NATALIE TENBERG

Lidl wartet nicht auf gute Presse, Lidl macht sich gute Presse einfach selbst. So erschienen gestern in mehreren Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen, in denen sich Lidl selbst lobte. Lidl als Jobmaschine, als Wirtschaftswunder, als Über-Discounter, der uns alle mit dem lustig verrutschtem „i“ aus der Krise führen wird! Doch es war kein Zufall, dass das Unternehmen genau an diesem Tag zum ersten Mal so etwas wie Öffentlichkeitsarbeit betrieb, denn Ver.di stellte das „Schwarz-Buch Lidl“ vor. In diesem Report werden die Arbeitsbedingungen der rund 30.000 Beschäftigten in über 2.500 Filialen in Deutschland angeprangert.

Die Autoren Andreas Hamann und Gudrun Giese haben in den letzten Monaten Material zusammengetragen, dessen Informationsgehalt die Milbona-Milch im Regal sauer werden lässt. Bislang glich der von Dieter Schwarz gegründete Konzern einer Blackbox. Keiner weiß wirklich, wer oder was hinter dieser Firma steht, wie das Konzernmodell aussieht und warum die Lidl-Stiftung gemeinnützig sein soll.

Lidl ist schon immer ein großer Anzeigenkunde von Zeitungen und Anzeigenblättern gewesen, allerdings preist Lidl für gewöhnlich seine Produkte an, nicht sich selbst. Wenn der Discounter sich nun in ganzseitigen Anzeigen als Schaffer von Arbeitsplätzen präsentiert, muss das hinterfragt werden: Was für Arbeitsplätze werden geschaffen und für wie lange? Im Anbetracht der Antworten des Lidl-Schwarzbuchs erscheint die Lidl-Eigenwerbung äußerst zynisch: Die Filialen des Discounters sind chronisch unterbesetzt, so dass die wenigen Angestellten, die vor Ort sind, unter schwierigen und aufreibenden Bedingungen arbeiten. Keine ausreichende Pausen, ständige Kontrollen auf Diebstahl und ein „Klima der Angst“ – Angst, wegen einer vorgeschobenen oder gar konstruierten Nichtigkeit gekündigt zu werden. Die Angestellten stehen dem Unternehmen gegenüber in einer Bringschuld, kontinuierlich zu beweisen, dass sie weiterbeschäftigt werden sollten. Nach außen dringt über das Unternehmen und seine Kultur wenig, den Angestellten wird ein Maulkorb verpasst.

Dabei sind die bis auf Einzelfälle nicht betriebsrätlich vereinigten Angestellten für das Unternehmen auch nur billige Ware, die jederzeit ersetzt und ausgetauscht werden kann. Durch die strukturellen Veränderungen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, in denen Lidl tätig ist, kann das Unternehmen auf eine Masse an Arbeitskräften zurückgreifen, die dem Unternehmen zur Verfügung stehen. Es bedarf keiner Qualifikation, bei Lidl zu arbeiten. In der Konsequenz sind die Kräfte leicht auszutauschen: Jeder ist jederzeit ersetzbar. Von einem Arbeitsplatz, der persönliche Lebensplanungssicherheit und Berufsethos verspricht, kann also keine Rede sein. Im Gegenteil: Anstelle von einigen gut eingearbeiteten und anerkannten Arbeitskräften zielt das Unternehmen darauf, geringbeschäftigte Teilzeitkräfte, meistens Frauen, einzustellen. So sieht der Weg aus der Arbeitsmarktkrise ganz bestimmt nicht aus.

Doch nicht nur die Angestellten des Unternehmens selbst sind betroffen. Auch Lidl-Zulieferer stöhnen über die Bedingungen, zu denen sie ihre Ware verkaufen müssen. Die Margen sind häufig so gering, dass sich das Geschäft mit dem Discounter wiederum negativ auf ihre eigene Beschäftigungssituation auswirkt. Mittelständische Unternehmen, die Lidl beliefern, müssen Arbeitsplätze streichen, um weiterhin wirtschaftlich arbeiten zu können.

Doch an Lidl, so scheint es, kommt keiner mehr vorbei, denn das frappierende an dem Lidl-Modell ist, dass es funktioniert. Im vergangenem Jahr steigerte die Unternehmensgruppe ihren geschätzten Umsatz auf 32 Milliarden Euro von 27,6 Milliarden im Vorjahr. Lidl ist hinter Aldi die Nummer zwei unter den deutschen Discountern.

Deutschland kauft billig, zu einem hohen Preis. In der derzeitigen Mentalität des Angstsparens bedient Lidl nicht nur die Zielgruppe der Sparsamen und Armen. Zugegeben: Wer von 425 Euro im Monat leben muss, dem ist nicht zuzumuten, gleiche Ware für mehr Geld zu kaufen. Eine wirkliche Willensentscheidung darüber, was sie mit ihrem Geld anfangen können, wird diesen Menschen von Notwendigkeiten abgenommen. Da bedeutet der Besuch bei Discounter, dass man sich vielleicht doch einmal im Monat ein Bier in der Kneipe leisten kann oder dass man andere Dinge tun kann, die zu einem Sozialleben dazugehören. Das Problem beginnt dort, wo Menschen, die sonst erwachsene Kaufentscheidungen treffen, für eine Ersparnis von zehn Euro in der Woche, zum Discounter gehen. Menschen, die Wert auf Qualität legen, für Emanzipation kämpfen und Trans-Fair-Kaffee trinken, kaufen anstandslos bei Lidl ein, um den Gang zum Vollkornbäcker zu finanzieren. Zu Weihnachten werden Unicef-Karten verschickt, aber der Inhalt des Nikolausstiefels stammt von Lidl. Das schlechte Gewissen erlöscht spätestens, wenn vor Lidl genügend Parkplätze frei sind und woanders ein Parkticket gelöst werden muss.

Der Kunde kann natürlich entscheiden, wo er sein Geld lässt. Aber Geld bedeutet auch Kaufkraft und Entscheidungsfreiheit für den, der es besitzt. So sollten die, die es besitzen, diese fähigen Instrumente einsetzen, damit gute Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden.