„Mit den meisten Muslimen ist der Dialog unbefriedigend“, sagt Johannes Kandel

Diskussionen lohnen sich nur mit aufgeklärten Islamvertretern. Die aber stehen lediglich für eine Minderheit

taz: Herr Kandel, was ist so schwer daran, mit Muslimen ins Gespräch zu kommen?

Johannes Kandel: Ich habe den Dialog einige Zeit, ich will das nicht abstreiten, blauäugig geführt. Man sucht muslimische Gesprächspartner. Man verschafft sich einen Einblick in die Strukturen der Muslime und lädt Organisationsvertreter ein. Und merkt sehr rasch, dass der Dialog mit diesen Vertretern unbefriedigend ist.

Warum?

Diese Leute verstehen sich als politische Lobbyisten. Es ist schwierig, mit ihnen einen substanziellen Dialog zu führen, bei dem man gegenseitiges Verständnis entwickelt und am Ende auch zu konkreten Ergebnissen kommt.

Mit wem lohnt sich das Gespräch?

Er lohnt sich nur mit den Muslimen, die in Wort und Schrift mit kritischen Positionen hervortreten. Die bereit sind, zum Beispiel den Koran auch unter kritisch-hermeneutischen Gesichtspunkten zu betrachten. Seine Texte im historischen Kontext zu sehen. Und mit Leuten, die bereit sind, sich die Frage zu stellen: Wie leben wir unsere Religion in der Moderne, in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Es gibt Einzelne, mit denen man das leisten kann, allerdings sind die großen Organisationen mit ihren Meinungsführern zur Zeit dazu entweder nicht bereit oder nicht in der Lage.

Wird nicht zu viel mit den Vertretern eines politischen Islam statt mit säkularen Muslimen gesprochen?

Ich sehe das nicht so. Der interreligiöse Dialog hat eine lange Tradition, und er überschneidet sich gelegentlich auch mit dem interkulturellen Dialog. Gerade zur Migrations- und Integrationsproblematik ist im interkulturellen Dialog eher viel angeboten worden.

Trotzdem: Warum bleiben die säkularen Muslime oft außen vor?

Sie sind nicht so gut organisiert, wie die Religiösen. Es sind Einzelne, die sich hervortun. Diese Leute muss man begleiten, fördern und unterstützen. Doch man muss auch fragen, was ist denn ein säkularer Kulturmuslim? Jemand, der überhaupt nichts mehr mit Religion am Hut hat, wird für viele Muslime nicht als glaubwürdiger Gesprächspartner gelten.

Die Problem im Zusammenleben sind doch häufig weltlicher Natur und allenfalls religiös verbrämt.

Stimmt teilweise, trotzdem suche ich gerade die Leute, die sich als religiöse Muslime mit der Frage der Modernisierung ihrer Religion auseinander setzen.

Diskutieren Sie dann über Fastenrituale oder darüber, wie Mädchen und Frauen im Namen der Religion unterdrückt werden?

Hier liegt das Problem. Letzteres müsste auch diskutiert werden. Das ist allerdings selten der Fall. Ich unterscheide zugespitzt zwei geläufige Dialogmodelle. Das eine Modell nenne ich „Wir haben uns alle lieb“. Das zweite Modell heißt „Achtung, Gefahr in Verzug“. Das Modell „Wir haben uns alle lieb“ hat den Dialog dominiert. Es war ein Harmonisierungsdialog. Man hat kritische Fragen nicht angesprochen.

Warum werden die beiden Positionen nicht stärker aufeinander losgelassen?

Wir haben das probiert. Es kam dann zu einem Schlagabtausch. Das war erhellend und sogar unterhaltend. Aber es ging nicht weiter.

Was brauchen wir dann?

Wir brauchen weniger die großen Inszenierungen, die großen Veranstaltungen. Was wir brauchen, sind die kleinen Gesprächskreise, die kleinen Runden vor Ort. Mit Muslimen, die intellektuell bereit und in der Lage sind, sich mit allen kritischen Fragen auseinander zu setzen. Es darf keine Tabus geben.

Die Kirchen scheinen über den interreligiösen Dialog ihre eigenen Positionen festigen zu wollen.

Sie fürchten, dass es in Deutschland zu einer stärkeren Betonung laizistischer Elemente kommen könnte. In der Kopftuchdiskussion wurde auch die Position vertreten, alle religiösen Symbole sollten aus der Schule verschwinden. Das sehen die Kirchen mit Sorge. Deshalb setzen sie sich im interreligiösen Dialog für einen islamischen Religionsunterricht ein. Das finde ich auch vollkommen legitim.

Oft präsentiert sich der politische Islam in Deutschland konservativer als in den Herkunftsländern. Aber nur er kommt hier zu Wort. Das vermittelt den den Eindruck, der organisierte Islam sei repräsentativ für die arabischen und türkischen Muslime.

Das ist ein wichtiger Aspekt. Es gibt interessante Diskussionen, auch in islamischen Ländern zu Koranhermeneutik oder feministischer Lesart des Korans. Diese Anschlussfähigkeit haben die muslimischen Organisationen hier – von Einzelnen abgesehen – nicht. Es wäre gut, wenn man das zusammenbinden könnte. Ich möchte das mit der Bundeszentrale für politische Bildung nächstes Jahr in einer großen Tagung über liberalen Islam versuchen und dazu eine ganze Reihe von Vertretern aus der muslimischen Welt einladen, die ihre kritischen Positionen mit Vertretern des Islam in Deutschland diskutieren.

INTERVIEW: EDITH KRESTA