Code Orange in den USA ausgerufen

Die zweithöchste Terror-Alarmstufe mit ihren scharfen Sicherheitsvorkehrungen wird Millionen von Weihnachtsreisenden im ganzen Land betreffen. Experten gehen aber davon aus, dass die Bevölkerung inzwischen immun gegen solche Warnungen ist

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Die US-Regierung hat am Sonntag die zweithöchste Terror-Alarmstufe ausgerufen. „Code Orange“ sorgt für scharfe Sicherheitsvorkehrungen im ganzen Land, die Millionen von Reisenden über die Weihnachtstage betreffen werden. Grund für die erhöhte Wachsamkeit ist ein „erheblicher Anstieg glaubwürdiger Hinweise“ auf mögliche Anschläge, wie Heimatschutzminister Tom Ridge mitteilte. Präsident George W. Bush habe nach Vorlage der Gefahrenanalyse der Entscheidung sofort zugestimmt, obwohl sie ihm nicht gefallen dürfte, hatte er doch nach der Festnahme Saddam Husseins verkündet, die USA würden nun sicherer sein. Zudem werden die Amerikaner daran erinnert, dass die eigentliche Gefahr vom Terrornetzwerk al-Qaida ausgeht.

Das Risiko von Attentaten wird in den kommenden Tagen als „hoch“ eingestuft. Ridge sprach von den „möglicherweise stärksten Hinweisen“ auf eine Bedrohung seit den Anschlägen vom 11. September. Geheimdienstinformationen deuteten darauf hin, dass Terroristen in Übersee Anschläge erwarteten, die dem Ausmaß der Attacken auf das World Trade Center und das Pentagon entsprechen oder sie noch übertreffen würden.

Alle nationalen Behörden müssen nunmehr festgelegte Sicherheitsaktionspläne umsetzen. Diese betreffen insbesondere die Flug- und Seehäfen sowie sämtliche Grenzübergänge. Auch Sehenswürdigkeiten, wichtige öffentliche Gebäude, Brücken und Tunnel werden nunmehr stärker bewacht. Für den Luftraum über Washington gelten eingeschränkte Flugrechte, landesweit gilt ein Flugverbot über Sportstadien. Dennoch rief Ridge die Bevölkerung auf, weiterhin ein normales Leben zu führen, Reise- und Einkaufspläne zu Weihnachten nicht abzusagen. „Wir werden uns dem Terror nicht beugen“, sagte er.

Konkrete Ziele und Bedrohungsarten nannte Ridge nicht. Geheimdienstberichte legten jedoch die Vermutung nahe, dass al-Qaida Schlupflöcher bei den Sicherheitsvorkehrungen im US-Luftverkehr ausnutzen könnte. Offensichtlich seien weiterhin Anschläge mit gekaperten Flugzeugen geplant. Zudem lägen Erkenntnisse aus Abhörprotokollen vor, in denen New York, Washington und Städte an der US-Westküste erwähnt würden. Wie in der Vergangenheit gelten Staudämme, Brücken, Atomkraftwerke und Chemieanlagen als besonders gefährdet. Das US-Außenministerium warnte darüber hinaus weltweit vor Anschlägen wie in Saudi-Arabien und Istanbul und glaubt, al-Qaida könnte dabei möglicherweise versuchen, chemische oder biologische Waffen einzusetzen.

Es ist das fünfte Mal seit dem 11. September, dass die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen wurde. Zuletzt war sie im Mai nach den Selbstmordanschlägen in Saudi-Arabien und Marokko verfügt worden und zehn Tage in Kraft geblieben. Als einzige Kommune hatte New York im Gegensatz zum Rest des Landes den „Code Orange“ jedoch auch in den vergangenen Monaten beibehalten. Das fünfstufige Warnsystem von Grün bis Rot wurde durch die neu eingerichtete US-Heimatschutzbehörde als Reaktion auf die Terroranschläge ausgearbeitet. Sicherheitsexperten sind jedoch der Ansicht, dass die Bevölkerung mittlerweile immun ist gegen die Warnungen, vor allem nachdem Anfang des Jahres die Alarmstufen ohne erkennbaren Grund in rascher Folge erhöht und wieder gesenkt wurden. Zyniker sehen in ihnen gar ein Instrument der Politik und sagen voraus, dass Bush kommenden Herbst, kurz vor den Wahlen, sich ihrer bedienen könnte, um sich in einem Klima der Angst als führungsstarker Präsident zu präsentieren.

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