„Verbot führt zu Verkrampfungen“

Menschenrechtler Bielefeldt kritisiert Vorstoß des Kanzlers, das Kopftuch zu untersagen

taz: Herr Bielefeldt, der Kanzler hat ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen gefordert, Chirac möchte es selbst Schülerinnen untersagen. Eifert Schröder seinem Freund nach?

Heiner Bielefeldt: Weder der Kanzler noch der Bundestag können in dieser Sache unmittelbar etwas beschließen. Das ist Sache der Länder, anders als im zentralistisch organisierten Frankreich. Doch Schröders Meinung beeinflusst die Stimmung im Land.

Ist die Diskussion in Frankreich und Deutschland vergleichbar?

Nein. Dass Schülerinnen hier Kopftuch tragen dürfen, sagt nicht nur der Kanzler, auch die Justiz urteilt eindeutig in diesem Sinne. In Frankreich wurden seit 1989 immer wieder Mädchen der Schule verwiesen, weil sie ein Kopftuch trugen. Der Staat schützt 13-jährige Mädchen gegen ihre Eltern. Ich glaube nicht, dass das sinnvoll ist.

Warum ist die französische Haltung denn so viel härter?

Früher war dort die katholische Kirche sehr stark, beherrschte weit mehr als in Deutschland das öffentliche Leben. Der Kampf dagegen mündete in das Trennungsgesetz von 1905, das förmliche Kooperationen von Staat und Kirche ausschließt. Aber es gibt private konfessionelle Schulen. Muslime etwa besuchen lieber katholische Schulen, die Religion wird dort höher geschätzt.

Sind Sie gegen ein Kopftuchverbot?

Tendenziell ja. Natürlich ist es schlimm, dass viele Mädchen das Kopftuch nicht freiwillig tragen. Aber ich halte es für noch schwieriger, wenn der Staat darauf präventiv mit Gegenzwang reagiert.

Bayern und Baden-Württemberg haben Gesetzentwürfe verabschiedet, die allein das Kopftuch verbieten.

Die Religionsfreiheit verlangt Gleichberechtigung der Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugung. Dagegen verstoßen Länder, die allein das Kopftuch verbieten. Es ist nicht überzeugend, dies mit der christlichen Tradition zu begründen. Der Staat ist in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht das Vollzugsorgan der Mehrheitskultur.

Wie beurteilen Sie die Lösung, sämtliche religiösen Symbole gleich ganz aus den Schulen zu verbannen?

Religiöse Symbole gehören auch in den öffentlichen Raum. Eine streng laizistische Position führt schnell zu Verkrampfungen. Dann fängt man irgendwann an, über die Größe von Holzkreuzen zu diskutieren, die gerade noch zulässig ist.

INTERVIEW: COSIMA SCHMITT