Sorry für die Unannehmlichkeiten

„Ein halbes Dutzend Soldaten kam auf das Auto zugestürzt. Sie richteten ihre Gewehre auf mich“„Das Bizarrste war, von jenen eingesperrt zu werden, die behaupten, Befreier zu sein“

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Vierzig Tage befand sich Muhammad in amerikanischer Gefangenschaft. Ganz schnell war er in Bagdad zur heißen Mittagstunde im August von der Straße wegverhaftet worden. Der 44-jährige Besitzer eines kleinen Imbissrestaurants war ein Niemand im rechtsfreien Mesopotamien. Und keiner wäre damals auch nur im Entferntesten darauf gekommen, auf einer Pressekonferenz zu verkünden: „Meine Damen und Herren, wir haben ihn“. Muhammads Geschichte ist ein Lehrstück dafür, was mit weniger prominenten Gefangenen als dem Exdiktator Saddam Hussein geschehen kann.

Es war einfach nicht sein Tag. Aber davon ahnt Muhammad noch nichts, als er am 7. August mit seinem Auto durch das Bagdader Viertel Karada fährt, um ein paar Erledigungen zu machen. In der großen geschäftigen Einkaufsstraße stauen sich wie immer die Autos. Was Muhammad nicht weiß: Ein paar Kilometer weiter, die Straße runter, war kurz zuvor eine amerikanische Patrouille in einen Hinterhalt geraten, in dem zwei Soldaten ihr Leben verloren. Die Täter konnten nicht gefasst werden, stattdessen haben die Amerikaner routinemäßig eine Straßensperre aufgebaut, die zu dem Rückstau führt. Muhammad biegt in eine kleine Seitenstraße ein, um den Stau zu umfahren, und die Falle schnappt zu.

„Ungefähr ein halbes Dutzend Soldaten kam auf mein Auto zugestürzt. Sie richteten ihre Waffen auf mich“, erinnert sich Muhammad. „Ich hatte Angst und bin sitzen geblieben. Darauf haben sie mich gewaltsam aus dem Auto gezogen, zu Boden geworfen und mir Handschellen angelegt.“ Als er im Straßenstaub liegt, ruft er den Soldaten noch wütend das amerikanische F-Wort zu. Ein Gewehrkolben trifft seinen Rücken. Dann zwingen ihn die Soldaten mit ihren Gewehren im Anschlag, eine halbe Stunde auf der Straße liegen zu bleiben. Bei der Durchsuchung seines Wagens werden keine Waffen gefunden, dafür wird aber immerhin eine Flasche Johnny Walker Whisky zum Vorschein gebracht. Das hat Folgen.

Die Soldaten fahren Muhammad anschließend zu ihrem Hauptquartier im Sajudpalast, einem von Saddam Husseins ehemaligen noblen Regierungsstätten. Sechs Stunden muss er mit anderen gerade Festgenommenen auf dem dortigen Tennisplatz ausharren, bevor er erstmals verhört wird. Ein US-Offizier fragt ihn über einen libanesischen Übersetzer nach seinen Beziehungen zu den Terroristen. Das Gespräch wird schnell hitzig, weil Muhammad, der Englisch versteht, merkt, dass der Übersetzer seine Worte nicht korrekt wiedergibt. Muhammad wird von hinten auf den Kopf geschlagen. Er muss sich auf dem Schreibtisch des Offiziers übergeben.

Das Verhör geht noch zwei Stunden weiter. Muhammad bittet, seine Familie anrufen zu dürfen. „Dieser Tage, wenn man nicht nach Hause kommt, machen sich alle gleich Sorgen“, sagt er. Muhammad redet mit dem Offizier inzwischen direkt auf Englisch. „In Amerika hat jeder Verhaftete das Recht auf einen Anruf.“ So hatte Muhammad das in den amerikanischen Filmen gesehen, und das sagt er nun dem Offizier. „Wir sind hier nicht in Amerika, hier gilt Besatzungsrecht“, bekommt er rüde zur Antwort.

Später wird Muhammad zum Flughafen gebracht. Dort werden in einem Terminal die wenigen Flugzeuge abgefertigt, die hier ankommen, im anderen befindet sich das amerikanische Hochsicherheitsgefängnis. Die meisten der gefangenen, hochrangigen ehemaligen Regierungsmitglieder aus dem Kartenspiel der 55 werden hier festgehalten. Vielleicht heute auch der jüngste Fang, Saddam Hussein.

Drei Tage lang ist Muhammad dort in einem Zeltlager inhaftiert. „Es war furchtbar. Im August im Freien. Wir lebten in Zelten mit 30 bis 40 Gefangenen. Das Trinkwasser hat praktisch im Metalltank gekocht“, erinnert er sich. Immer wieder wird er verhört und nach seinen Beziehungen zu den Islamisten befragt oder darüber, welche Baath-Parteimitglieder er aus seiner Nachbarschaft kenne. Gelegentlich kommen auch ein paar freundliche junge Herren in Zivil vorbei, nehmen ihn ein wenig mit nach draußen, um mit ihm bei einer Zigarette zu plaudern. „Das waren die CIA-Verhöre“, glaubt er.

Schließlich wird Muhammad in einem Militärlaster nach Abu Gheib im Westen Bagdads gebracht, dem größten und unter Saddam Hussein gefürchtetsten Knast des Landes, der heute weiterhin unter der Besatzung in Gebrauch ist. Jeder kriegt beim Einchecken eine Karte. Von dieser erfährt Muhammad erstmals, warum er eingesperrt wird: „Trunkenheit am Steuer und Widerstand bei der Verhaftung“, heißt es darauf. Aha, die Flasche Johnny Walker spielt hier ihre Rolle.

Wie viele Tage in Abu Gheib das bedeuten kann, weiß er nicht. Muhammad ist weder verurteilt, noch hat er in den letzten Tagen irgendeinen Richter, weder einen amerikanischen noch einen irakischen, zu Gesicht bekommen. Seine Familie ist immer noch nicht informiert.

„Ich war mir zu neunzig Prozent sicher, dass mein Mann tot ist“, sagt seine Frau heute, als alle wieder vereint auf ihren zwei Sofas in ihrem bescheidenen Heim in Bagdad sitzen. Sie hatte sogar schon versucht, ihre beiden Töchter Iman und Rima darauf vorzubereiten dass ihr Vater nie wieder kommt, als Muhammad es schließlich doch geschafft hat, einem entlassenen Mitgefangenen die Telefonnummer seiner Frau mit auf den Weg zu geben. „Ich war total erleichtert, dass er lebt“, erzählt sie. Helfen konnte sie ihrem Mann allerdings nicht. Im amerikanischen Abu-Gheib-Gefängnis waren weder Anwälte noch Besuche von Familienangehörigen zugelassen.

Die folgenden 36 Tage verbringt Muhammad in einem Zeltlager am Rand des Gefängnisses umgeben mit Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen mit 500 weiteren Gefangenen. Mit einem Dutzend Mördern, Plünderern, Vergewaltigern und anderen, ähnlich kurios Verhafteten wie er, teilt er sich ein Zelt.

Immer wieder sind draußen Schüsse zu hören. Zweimal wird das Lager von der irakischen Guerilla angegriffen. Sie vermutet hinter den hohen Mauern ein Militärlager. Bei einem Mörserangriff zieht sich das amerikanische Wachpersonal in die Gebäude zurück und überlässt die Gefangenen in den Zelten ihrem Schicksal. „Wir haben die Verletzten zum Tor geschleppt und die Amerikaner angefleht, sie abzutransportieren“, ruft Muhammad den Tag in sein Gedächtnis zurück. Doch die Soldaten haben sich in den Gebäuden in Sicherheit gebracht. Sieben tote Gefangene und über 50 Verwundete hat Muhammad an diesem Abend gezählt. Ein paar Tage darauf wird das Lager noch einmal angegriffen. Die Operationen der Guerilla hören erst auf, als die Gefangenen es schaffen, eine Botschaft nach draußen, in die Nachbarschaft des Gefängnisses zu schicken, in der sie erklären, dass sich hinter den Mauern keine amerikanischen Soldaten, sondern irakische Gefangene befinden.

Muhammad, der als einziger unter den Gefangenen ein wenig Englisch spricht, steigt im Lager schnell zum Übersetzer auf. So freundet er sich auch mit einigen der Soldaten an. „Viele hatten einfach Heimweh“, beschreibt er deren Gefühlslage. Bei einem war der Vater gestorben, und dem anderen wurde ein Kind geboren, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, nach Hause zu fahren. Wenn er zurückkomme, erklärt ihm ein Sergeant, werde er jedenfalls ganz sicher nicht mehr für George Bush stimmen. Dieser Sergeant, den Muhammad inzwischen als Freund betrachtet, checkt dann auch immer im Computer, ob vielleicht doch demnächst die Freilassung ansteht. Bis er schließlich mit der Nachricht kommt: „Muhammad, morgen wirst du entlassen, dann bist du freier als wir US-Soldaten hier“.

Man wünsche ihm ein gutes Leben und: „Sorry für die Unannehmlichkeiten“, gibt ein anderer Offizier Muhammad mit auf den Nachhauseweg und fügt hinzu: „Eigentlich gab es keinen Grund, warum du den letzen Monat hier verbracht hast.“

Muhammad kommt als veränderter Mensch aus dem Lager der Amerikaner zurück. Er hat heute Angst, mit seinem Auto in Bagdad herumzufahren, und verbringt die meiste Zeit zu Hause bei seiner Frau und den Kindern. „Die einzige Garantie, dass mir so etwas nicht noch einmal passiert, wäre auszuwandern“, meint er. Er überlegt sich, die Koffer zu packen und mit seiner Familie in einen der Golfstaaten zu ziehen. „Bisher zögert er, weil er, wie er sagt, „nicht noch einmal in seinem Leben vollkommen bei null anfangen will“. Und was würde er sagen, wenn er seine ganze Erfahrung in einem Satz zusammenfassen sollte? Muhammad macht eine Pause und überlegt. „Das Bizarrste war“, sagt er, „gerade von jenen eingesperrt zu werden, die behaupten, eigentlich deine Befreier zu sein.“