Strasser flieht aus Schüssels Kabinett

Österreichs Innenminister erklärt plötzlich seinen Wechsel in die freie Wirtschaft. Kanzler Schüssel ist so brüskiert, dass er direkt einen Nachfolger benennt

WIEN taz ■ Völlig überraschend, auch für Parteifreunde und Regierungskollegen, hat Österreichs Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) gestern seinen Rückzug aus der Politik erklärt. Er prüfe zwei Angebote internationaler Firmen in Österreich, um Anfang 2005 „in die Wirtschaft zurückzukehren“. Den Entschluss habe er allein mit seiner Frau gefasst. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel war so empört über den Alleingang seines Ministers, dass er ihm keine Übergangszeit einräumte und sofort einen Nachfolger ernannte: Verteidigungsminister Günter Platter, wegen Misshandlungsvorwürfen in der Armee in der Kritik, wird vorerst beide Ressorts leiten.

Donnerstag beschloss der Nationalrat die Zusammenlegung von Polizei, Gendarmerie und Zollwache. Damit hat Strasser seine wichtigsten Reformprojekte unter Dach und Fach und sieht seine Aufgabe als erledigt an. Seine Bilanz ist aber umstritten: Die Asylrechtsnovelle wurde vom Verfassungsgerichtshof in ihren zentralen Punkten zerzaust. Die versuchte Kriminalisierung unbequemer Asylanwälte trug Strasser den Vorwurf ein, den Rechtsstaat zu missbrauchen.

Der FPÖ gingen seine Verschärfungen nie weit genug. Sie bot sofort an, das Ministerium zu übernehmen. Strasser dürfte nicht nur wegen der öffentlichen Schelte, sondern auch wegen des getrübten Verhältnisses zum Kanzler die Flucht nach vorn angetreten haben. Schüssel hatte seinen Minister immer seltener gegen Angriffe der FPÖ in Schutz genommen. Grünen-Chef Alexander Van der Bellen: „Schüssel steht vor dem Scherbenhaufen seines Führungsstils.“ Für den SPÖ-Fraktionschef Josef Cap ist Strassers Rücktritt „eine logische Folge seines Scheiterns: die Kriminalitätsrate war nie so hoch, die Aufklärungsrate nie so niedrig.“ RALF LEONHARD