Justiz jagt Antifaschisten

Der Vorsitzende der VVN NRW, Ulrich Sander, wird von der Justiz verdächtigt, falsche Briefe an Nazis versandt zu haben. Sander dementiert

„Anstatt die Naziverbechen endlich zu belangen, wird ein antifaschistischer Journalist behindert.“

VON ANNIKA JOERES

Die Polizei-Aktionen gegen den Vorsitzenden der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN), Ulrich Sander, zieht weite Kreise: Nun protestiert auch der deutsche JournalistInnen-Verband gegen das Vorgehen der Polizei. „Nicht das Verhalten von Sander ist Amtsanmaßung, sondern das von Polizei und Staatsschutz“, heißt es in einem Brief an die Justizbehörden in Nordrhein-Westfalen. In dieser Woche haben über 180 antifaschistische Organisationen aus ganz Europa ihre Solidarität mit Ulrich Sander erklärt.

Seit Anfang Dezember wird gegen Sander ermittelt. Er soll unter dem Briefkopf „Leiter der Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen“ ehemalige Gebirgsjäger in Bayern angeschrieben haben. Den Empfängern sei darin mitgeteilt worden, dass gegen sie wegen Mordes im Zusammenhang mit mutmaßlichen Straftaten der Wehrmacht auf der griechischen Insel Kephallonia ermittelt werde, teilte der Dortmunder Staatsanwalt Bernhard Düllmann mit. Die angeschriebenen Personen wandten sich daraufhin an den Leiter der Dortmunder Zentralstelle Ulrich Maaß, dieser wiederum erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Sanders Wohnung wurde daraufhin von zehn StaatsschützerInnen durchsucht, Computer und Briefe beschlagnahmt.

„Derartige Briefe und Fälschungen habe ich nie versandt“, sagt Sander. „Statt die Nazivebrecher endlich zu belangen, wurde mit mir ein antifaschistischer Journalist an seiner Arbeit gehindert.“ Offenbar solle er eingeschüchtert werden, damit er seine Ermittlungen einstelle.

Ulrich Sander recherchiert seit Jahren als Buchautor und Journalist über die Verbrechen der Wehrmacht, insbesondere der Gebirgsjägertruppe, einer Spezialeinheit der Wehrmacht. So wertete er gemeinsam mit den HistorikerInnen der Arbeitsgemeinschaft „Angreifbare Traditionspflege“ die Mitgliederzeitschrift der Gebirgsjägereinheit aus. Dabei stieß er auf Erlebnisberichte und Anekdoten, aus denen hervorgeht, welcher Soldat wann wo stationiert war. Sander hat daraufhin den Staatsanwaltschaften in München, Dortmund und Ludwigsburg über 200 Namen und Adressen von heute noch lebenden, möglichen Tätern an Massakern in Griechenland und Italien übergeben und gefordert, dass gegen sie ermittelt werde. Bisher wurde in der Bundesrepublik die Erschießung von über 5.000 italienischen Kriegsgefangenen im September 1943 auf der griechischen Insel Kephallonia nicht verfolgt, Ermittlungsverfahren wurden eingestellt.

„Angesichts der ungesühnten NS-Verbrechen finden wir die Polizeiaktion zynisch gegenüber den Opfern des Naziregimes,“ sagt die VVN-NRW. Die deutsche JournalistInnen-Union (DJU) kritisiert den Umgang der Justiz mit ihrem Kollegen: „Die Staatsanwaltschaft ist mit unverhältnismäßigen Mitteln gegen einen engagierten Journalisten vorgegangen“, sagt DJU-Voritzende Ulrike Maercks-Franzen. Das Zeugnisverweigerungsrecht von JournalistInnen sei verletzt worden, der ganze Vorgang ein „Akt staatlicher Willkür“.

Die Dortmunder Staatsanwaltschaft will zu „einem laufenden Verfahren“ keine Stellung abgeben, ebensowenig wie die „Zentralstelle zur Verfolgung der NS-Verbrechen“. Seit Jahren kritisieren antifaschistische Verbände die geringe Erfolgsquote der Dortmunder Behörde. Ermittlungsverfahren zu Nazi-Verbrechern seien oft verschleppt und vereitelt worden.