PS 2:

Liebe M.,

noch schnell ein weiteres Postskriptum, denn fast hätte ich vergessen, dass du von mir einen Rat wolltest. Natürlich sollst du, bevor du rotsiehst, erfahren, wie man das mit den Reklamationen auf die Reihe kriegt. Du deutetest an, dass du Ärger mit euren Verkehrsbetrieben hast. Sie haben dich zur Schwarzfahrerin gestempelt.

Kenn ich, kann ich dir sagen. In Berlin sind die Kontrolleure in den U-Bahnen bestverhasst. Diesen Sommer sind sie vor allem den Touristen an den Geldbeutel, haben gewartet, bis welche mit ungestempelten Tickets eingestiegen sind. Dann sind sie denen gefolgt und haben sie zu 40 Euro Strafe verdonnert. Woher soll denn ein Tourist wissen, dass er das Ticket noch abstempeln muss. Jetzt hat die BVG kleine Aufkleber auf die Automaten geklebt. „Please validate“ steht drauf. Wo die armen Leute „validieren“ sollen, bleibt allerdings weiter ein Rätsel.

Derzeit haben die Kontrolleure die Studierenden am Wickel. Einige von denen wollten ganz ordentlich sein und haben deshalb ihr Semesterticket laminiert. Aus BVG-Sicht sind die jetzt ungültig, weil „manipuliert“. Egal, was du machst, sofort bist du Schwarzfahrerin.

Ich hab es trotzdem mal geschafft, dass die ein Verfahren wegen Schwarzfahrerei gegen mich eingestellt haben. Ich habe reklamiert, weil ich erfolglos versucht habe, an den Automaten eine Karte zu ziehen. Dazu musst du wissen, dass die Ticketautomaten hier wirklich der Hit sind. Entweder sie sind ganz kaputt, oder sie nehmen nur Kleingeld, oder sie nehmen nur Scheine, oder sie nehmen Scheine, aber nicht die, die du dabei hast und so weiter. Jedenfalls funktionierten die Maschinen nicht, deshalb bin ich ohne Ticket gefahren und in eine Kontrolle gekommen. „Warum werde ich ins Unrecht gesetzt, wenn mir die Infrastruktur des Unternehmens entweder die Honorierung der Dienstleistung oder die Inanspruchnahme der Dienstleistung nicht ermöglicht? Und dies, obwohl die BVG einen Beförderungsauftrag hat und dafür auch öffentliche Gelder in Anspruch nimmt.“ Warum werde ich unter solchen Bedingungen wie eine Verbrecherin behandelt? Das habe ich die gefragt. „Ich soll diese Ungerechtigkeit auch noch akzeptieren, indem ich ein Strafgeld bezahle. Ich bitte Sie höflich, mir zu erklären, wie dies zu legitimieren ist? …

Vorverurteilungen im Alltag sind das. Die Gebühreneinzugszentrale hat mich damit neulich auch sprachlos gemacht. Willst du den Fernseher abmelden, schicken die dir einen Brief, dass sie das nicht tun werden, weil eine Abmeldung in Wirklichkeit meist eine Adressänderung sei. So was macht mich rasend. Was für eine Dienstleistungsethik steckt dahinter, wenn einem Konsumenten immer unlautere Absichten unterstellt werden. „Sie erklären mir in Ihrem Brief, dass Sie meine Kündigung … nicht ausführen, da es sich Ihrer Erfahrung nach nur um einen Umzug handele. Ich entnehme diesem Schreiben, dass Sie meine Angaben in Zweifel ziehen. Dies entspricht nicht meinen Vorstellungen von einem angemessenen Geschäftsgebaren, selbst wenn Sie aus Erfahrung zu berichten wissen, dass eine Kündigung meist eine Adressänderung ist …

Immer den eigentlichen Streitpunkt verlassen und die Argumentation erweitern, das ist der wichtigste Tipp, den ich dir geben kann. Dienstleistungsethik und Nachhaltigkeitsgedanken einfordern, das hat mir immer geholfen.

Einmal hab ich teflonbeschichtete Pfannen, die nach wenigen Jahren nicht mehr einwandfrei waren, zurück an die Hersteller geschickt, obwohl ich die Quittung nicht mehr hatte. „Ich bin enttäuscht über die mindere Qualität dieser Kochgegenstände. Da es sich, soweit ich informiert bin, bei den Töpfen und der Pfanne nunmehr um Sondermüll handelt, schicke ich sie Ihnen zur angemessenen Entsorgung zurück. … Ich verstehe nicht, wie man Töpfe und Pfannen aus so sensiblem Material überhaupt herstellen kann. Sind sie doch das Handwerkszeug einer Frau. Als solches müssten sie etwas aushalten können und nicht wie rohe Eier behandelt werden müssen. (Nur zum Vergleich: Würden Sie Rohrzangen aus Plastik gutheißen?) Ich werde nun nicht direkt eine Bürgerinitiative gegen beschichtetes Geschirr ins Leben rufen, aber als Kundin haben Sie mich verloren.“ Es hat nicht lange gedauert, und die haben mir ein Set neuer, leider wieder beschichteter, Pfannen geschickt.

Die Firmen mit ihrer eigenen Philosophie schlagen, das rate ich dir. Außerdem solltest du die Briefe immer auch direkt an die Firmenchefs adressieren. Die Adressen kriegst du übers Internet raus. Auf den Briefen musst du dann den Namen vor die Firma setzen. Am besten noch „persönlich, vertraulich“ drunter schreiben. Und nicht vergessen: Kopien an die Verbraucherschutzzentrale schicken.

Reklamiert wird, weil man sich in einer Sache oder Situation ungerecht behandelt fühlt. Wie also die Reklamation bewerkstelligen, wenn das Herz kocht? Vor kurzem haben die Verbraucherorganisationen Alarm geschlagen, weil die Händler Reklamationen in vielen Fällen grundlos abbügeln würden. Ich glaube, das liegt daran, dass der direkte Kontakt eine Konfliktsituation schafft. Dann geht es nicht mehr um die Sache, sondern darum, Recht zu haben. Ich sei in direkten Auseinandersetzungen ja auch ein Hitzkopf. Hast du mir früher jedenfalls oft gesagt. Wenn ich schreibe, passiert mir so was nicht. Da versuche ich die Kontrolle zu behalten und trotzdem frech zu sein. Polemik allerdings musst du vermeiden. Das ist das Aus jeder Kommunikation.

An den Vorstand, nicht an den Kundenservice, der Bewag, des Berliner Stromversorgers, hab ich vor kurzem ebenfalls geschrieben. Die haben mir einen Scheck über 3,70 Euro Restguthaben zugesandt, als ich einen Anschluss abmeldete, obwohl die Kontoverbindung vorlag. Erst nachdem ich den Scheck eingelöst hatte, las ich den Begleitbrief des Schecks und stellte fest, dass ich zur Einlösung eine Frist hätte beachten müssen und dass ich, weil ich diese versäumte, den Scheck nicht mehr einlösen könne, und auch die Gebühr für den ungültigen Bankentransfer zu bezahlen hätte. Dreist oder? Dunkle Seiten tun sich da auf.

Danach habe ich die Bewag in meinem Brief dann gefragt: „Ich würde gerne von Ihnen erfahren, was Sie mit meinen 3,70 Euro zu tun gedenken? Überhaupt würde mich interessieren, was Sie mit den nicht angewiesenen Beträgen, die durch nicht eingereichte Schecks anfallen, tun? Denn sicher bin ich nicht die Einzige, die zu spät zur Bank geht. Werden diese Beträge als Spenden abgerechnet? Werden Sie einem guten Zweck zugeführt? Fließen Sie in private Taschen? Liegen sie in der Schwarzgeldkasse? Werden Spendenquittungen ausgegeben? Darf ich über die Verwendung der Mittel mitbestimmen?

Konsequenzen ankündigen, das ist auch noch so ein Tipp. Aber die dürfen nichts Drohendes oder Manipulatives an sich haben. Der Bewag gegenüber habe ich erwähnt, dass ich mich seit längerem damit beschäftige, einen Stromanbieter zu suchen, der meinen Nachhaltigkeitsvorstellungen mehr entspricht als Vattenfall Europe, zu der die Bewag gehört. Auf jeden Fall hat die Bewag prompt reagiert. Sie erstattete nicht nur die 3,70 Euro, sondern versprach auch 100 Kilowatt Strom kostenlos.

Ich hab keine Ahnung, wie viel 100 Kilowatt ist, aber außer dem und den Pfannen habe ich auch schon mal den Preis für ein paar Socken zurückbekommen, weil ich einem Naturversand ein Paar geflickte geschickt habe mit der Aufforderung, endlich aus Nachhaltigkeit und Respekt vor der Flickarbeit von Frauen dafür zu sorgen, dass Wollstrümpfe nicht sofort kaputt gehen.

Findest du mich wegen der Socken kleinlich? Ich wollte dir damit eigentlich nur sagen, dass Humor hilft. Gut, vielleicht findest du das nicht lustig, aber du flickst ja auch keine Socken, soweit ich mich erinnere. W.