Eine schöne Bescherung

Vorweihnachtliches Gespräch mit Jürgen Klopp, Trainer des FSV Mainz 05, der zweimal um ein Haar in die erste Bundesliga aufgestiegen wäre, über fatale Geschenke und die Tücken der Besinnlichkeit

INTERVIEW TOBIAS SCHÄCHTER

taz: Herr Klopp, wir möchten uns mit Ihnen über „schöne Bescherungen“ unterhalten.

Jürgen Klopp: Wieso mit mir?

Wir dachten, nach zwei äußerst knapp gescheiterten Aufstiegsversuchen sind Sie Experte auf diesem Gebiet.

Ach so. Na, wir haben ja letzte Saison Eintracht Frankfurt den Aufstieg nicht geschenkt. Insofern war das auch keine Bescherung.

Im Sport wird aber oft davon gesprochen, dass Geschenke verteilt werden.

Das ist eine typische Reporter-Phrase. Ein Geschenk impliziert, dass man jemandem etwas freiwillig gibt. Wenn wir Chancen vergeben oder Fehler machen, geschieht das nicht auf freiwilliger Basis. Was in Frankfurt passiert ist, damit hatten wir gar nichts zu tun …

außer, dass Sie die Leidtragenden waren.

Ja, aber das konnten wir doch nicht beeinflussen.

Sie glauben also nicht an Schicksal?

Ich behaupte, man kann ganz vieles beeinflussen. Es geht darum, die Voraussetzungen zu nutzen und das Optimale herauszuholen.

Aber zweimal so grandios am Aufstieg zu scheitern, das macht doch mürbe?

Warum denn? Ich wundere mich, dass das für die Leute so ein Thema ist. Für mich ist das wirklich überhaupt kein Problem.

Warum nicht?

Wir haben es versucht, es hat nicht geklappt. Wir haben es wieder versucht, dann hat es wieder nicht geklappt. Warum sollten wir es nicht noch einmal versuchen?

Weil es wahnsinnig frustrierend ist.

Man arbeitet 364 Tage, um etwas am 365. zu schaffen. Wenn man am 365. Tag noch in der Lage ist, das Ziel zu erreichen, dann waren die 364 Tage vorher große Klasse.

Und am 365. Tag kriegt man dann einen mit der Keule.

Das tut im Augenblick wahnsinnig weh. Tränen fließen, die Leute sind traurig. Aber dann kommt ein paar Tage später der Punkt, an dem die 364 Tage vorher wieder in den Mittelpunkt rücken. Man denkt: Hey, Klasse. Will ich wieder haben. Mit gesundem Menschenverstand ist es doch wirklich lächerlich, sich wegen so etwas aus der Bahn schlagen zu lassen.

Sie hatten einfach nur kein Glück?

Glück ist eine Überwindungsprämie.

Wie bitte?

Ja, man kann sich das Glück immer wieder neu verdienen.

Dann haben Sie sich also die Überwindungsprämie nicht verdient?

Es bedeutet nicht zwingend, dass man auch immer Glück hat, wenn man etwas dafür getan hat. Wir glauben, dass wir sehr viel bekommen haben: Zuspruch, neue Fans, ein anderes Ansehen, mehr Selbstvertrauen. Aber wir haben nicht alles bekommen.

Was ist die Corporate Identity bei Mainz 05?

Wenn ein Spieler zu uns kommt, dann ist Mainz 05 der geilste Verein der Welt für das nächste Jahr. Das müssen mir die Spieler in die Hand versprechen. Man darf nicht vergessen: Das Ganze ist ein Spiel. Ich möchte, dass man die Freude an der Sache auch sieht. Spielen bedeutet ein bisschen zocken, ein bisschen gambeln, ein bisschen bluffen und so weiter. Wenn man das Spiel nur noch arbeitet – und es steckt natürlich viel Arbeit dahinter – dann geht diese Freude völlig verloren.

Wollten Sie schon immer Trainer werden?

Trainer ist kein Ausbildungsberuf. Drei Jahre Lehre und dann kucken wir mal – so läuft das nicht. Trainer zu werden, hatte ich zwar immer im Hinterkopf, aber …

es war also kein Sprung ins kalte Wasser vor zweieinhalb Jahren, die Mannschaft plötzlich zu trainieren, deren Mitglied sie eine Woche zuvor noch waren?

Doch, absolut. Ich war in keinster Weise vorbereitet. Was mich allerdings gewundert hat, ist, dass ich dann plötzlich so unendlich viel abrufbar hatte. Ich hatte noch nie eine Sitzung gehalten, noch nie eine Mannschaft auf ein Spiel vorbereitet und war mir trotzdem sicher, das Richtige zu tun. Das war im Grunde ein Wunder.

Ein Wunder? Sie sind Diplomsportlehrer und waren elf Jahre Profi.

Klar, mein Studium ist die Grundlage für das, was ich jetzt mache. Dazu kommt meine Erfahrung als Profi, keine Frage. Aber ich habe keine Nachschlagewerke, habe mir nie irgendwas notiert, Trainingspläne oder sonst etwas.

Sie arbeiten rein intuitiv?

Die Vorrunde vor zweieinhalb Jahren, die ist abgelaufen wie im Traum. Wir waren wie Kinder. Wir haben geglaubt, alles ist möglich. Ich war damals ein ganz, ganz neuer Trainer und habe gedacht: Es muss mir erst mal bewiesen werden, dass man nicht jedes Spiel gewinnen kann.

Und das haben Sie jetzt gelernt?

Ich habe das bis heute noch nicht gelernt. Ich glaube nach wie vor, dass man jedes Spiel gewinnen kann. So sind wir das damals angegangen. Und dann kam Weihnachten, die Winterpause.

Eine besinnliche Zeit, nicht unbedingt etwas für Himmelsstürmer?

Wir realisierten, wie favorisiert wir plötzlich sind, dass das Stadion immer voller wurde.

Schöne Bescherung!

Ich kann ja nicht sagen: Ihr bleibt zu Hause, die Zeitung wird abbestellt und der Fernseher abgemeldet. Aber wir haben das ganz gut gemeistert. Wir hatten 39 Punkte und dann immerhin noch 25 in der Rückrunde. Macht 64, und die hätten in 100 Jahren immer gereicht, um aufzusteigen – nur eben bei uns nicht. Aber es war trotzdem super. Und für mich lag der Brutalstreiz darin zu zeigen: Jetzt probieren wir es noch einmal: Und genau an diesem Punkt sind wir jetzt wieder. Wenn wir irgendwann in dieser Konstellation nicht mehr zusammen sein werden, so werden wir aus dieser Erfahrung heraus gestärkt sein für unser weiteres Leben, hundert Prozent.

Das klingt ja fast missionarisch.

Ich glaube an Gott und an das Gute im Menschen.

Und wann packt der Gutmensch Jürgen Klopp die Rute aus?

Die ganz harte Ansprache gibt es auch. Aber fünf Minuten später können die Jungs kommen und mit mir über was anderes völlig normal reden. Man muss den Spielern das Gefühl geben, der Trainer vertraut ihnen.

Herr Klopp, man traut sich ja kaum zu fragen, aber am letzten Spieltag dieser Vorrunde sind sie schon wieder von einem Aufstiegsplatz geschubst worden …

Sie würden vermutlich sagen: Schöne Bescherung. Aber wir sind trotzdem guten Mutes, eine gute Rückrunde zu spielen.