berliner szenen Kein 1-Euro-Job

Motten minimieren

Schon von weitem lachten einen die vielen Rechen an, die aus einem Bauwagen ragten. Die Frau vom Grünflächenamt, erkennbar an ihrer orangefarbenen Leuchtweste, vergab Arbeitshandschuhe und zeigte, wo die Säcke für das Laub waren. Es war der große Tag gegen die Miniermotte in Kreuzberg. Über Tageszeitungen, Annoncenblätter und Internet waren die Bürger aufgerufen worden, von 10 bis 14 Uhr Kastanienlaub zu sammeln, um den Bestand des Schädlings zu minimieren – denn der Nachwuchs überwintert im Laub. Dieses Einsammeln und Vernichten der Blätter hat ja auch schon zu nachweislichem Erfolg geführt, die Kastanien sind weniger beschädigt als letztes Jahr.

Aber außer zwei rechenden Frauen vor dem Statthaus am Böcklerpark war niemand dem Aufruf gefolgt. Sie schufteten bereits seit zehn, um elf waren wir dann zu dritt. Die beiden Frauen vom Grünflächenamt verschwanden, mahnten aber noch, dass um 14 Uhr definitiv Schluss wäre. Die übrigen Rechen nahmen sie mit, „kommt ja doch keiner mehr“. Also machten wir zu dritt Haufen und schaufelten sie in die blauen Plastiksäcke. Die Künstlerin Claudia meinte, dass man die Aktion als Wettbewerb um die goldene Motte als Anstecknadel hätte ausschreiben sollen, das hätte Leute gezogen. Als gegen zwölf ein Fahrzeug des Grünflächenamts anrollte, jubelten wir „Juchhu, der Partyservice!“, doch der Wagen fuhr vorbei, und wir legten zusammen für einen Imbiss. Passanten schauten und lächelten. Die Männer teilweise anzüglich und einer richtig infam. Einer hielt uns für verfrühte 1-Euro-Jobber. Punkt zwei stellten wir einen letzten Sack an den Sammelbaum, und Gastronomin Maike musste auch los, ihren Sohn von der Schule abholen. KATRIN SCHINGS