Das virtuelle Abbild des Fußballs

In Berlin treffen sich tausend fußballverrückte Daddler zum Fifa Interactive World Cup und schicken Zidane, Figo und Ballack per Knopfdruck über den Bildschirm – Lothar Matthäus gibt den realen Star und freut sich über die gelungene Kickersimulation

AUS BERLIN PATRICK ABELE

Aus den Boxen hämmert Techno-Musik. Leger lehnt er sich über das gusseiserne Geländer, und sein Blick wandert erstaunt durch die Tiefe des Raumes. An der Außenlinie setzt sich Ronaldo gegen Ballack durch, passt in die Mitte zu Figo, der Sagnol ins Leere grätschen lässt. Nun umkurvt Figo Thomas Linke, spielt in den freien Raum zu Zidane, der mit viel Gefühl das Runde über den herausstürmenden Kahn hebt. Die Galaktischen setzen zum Jubel an, werden jedoch abrupt von der Leinwand verbannt. Jetzt leuchtet überdimensional das Logo des Weltfußballverbandes Fifa auf. „I was sending out of space find another race“, lärmt der Prodigy-Klassiker durch den Hangar zwei des Flughafens Tempelhof in Berlin – und Lothar Matthäus blickt gebannt in die futuristisch gestaltete Flugzeughalle.

Nach Johannesburg, New York, Rio de Janeiro und London gastiert der Fifa Interactive World Cup in Berlin zum Deutschland-Finale. Unzählige Bildschirme flimmern, und auf der Großbildleinwand wechseln sich Sequenzen vergangener Fußball-Weltmeisterschaften und Fußballsimulationen im Sekundentakt ab. Die Differenz von Virtualität und Realität wird aufgelöst. Im Zusammenprall der Dimensionen geht es um Sieg oder Niederlage.

Mehr als tausend Teilnehmer spielen um den Titel des interaktiven Weltfußballers. Die Spielkonsolen, die in überdimensionale Fußbälle integriert sind, so genannte Pods, werden zum Zentrum des interaktiven Geschehens, denn erst an der Konsole entstehen die großen Spielmomente. Nach einer geglückten Kombination oder einem erfolgreichen Torschuss per Knopfdruck ahnt man die Faszination und Freiheit des Virtuellen. Natürlich gibt es feste Regeln, und neben jedem Pod wacht ein Referee über das Spiel. Für Rekordnationalspieler Matthäus, der wie ein Popstar von den meist jugendlichen Zuschauern umringt wird, ist das virtuelle Fußballspiel „absolut wahrheitsgemäß wiedergegeben.“

Um auf dem wirtschaftlich hart umkämpften Markt bestehen zu können, werden die modernen Fußballcomputerspiele ständig überarbeitet und aktualisiert. Für Unsummen werden Lizenzen an Vereins- und Spielernamen gekauft, Bewegungsabläufe von Spielern digitalisiert, damit die virtuellen Teams mit den echten möglichst identisch sind. Der Fußball und sein virtuelles Abbild gehen eine scheinbare unzertrennbare Symbiose ein. Auch Bundesligaprofis wie Bernd Schneider greifen auf die digitalisierte Version ihres Spiels zurück und lernen möglicherweise an der Spielkonsole dazu, ohne im eigenen Schweiß zu baden.

Mit harten Beats wird das Finale angekündigt, unterstützt von einem Moderator, der wie ein Boxpromoter seine Stimme durch den Hangar hallen lässt. Im Endspiel stehen sich Rob aus Gramsby in England und Kai „aus dem Pott“ gegenüber. Monatelang haben sie trainiert. Mit den Worten Ehrgeiz, Disziplin und Ausdauer umschreiben sie ihr „Training“. Die virtuellen Teams werden ausgewählt, die Mannschaftsbildung folgt einem klaren Konzept. Die taktischen Spielsysteme werden programmiert, die Spieler mittels Knopfdruck ihren Positionen zugeordnet. Der Ball liegt im virtuellen Anstoßkreis – es kann losgehen.

In diesem Moment erklingt die digitalisierte Stimme des Fußball-Reporters Fritz Köhler. Phrasen aus dem Fußballjargon begleiten das Spiel, während die beiden Finalisten mit rasender Fingerfertigkeit die futuristisch designten Pads bedienen. Mit der Routine von tausenden gespielten Partien bestimmen sie ihre Mannschaften. Ohne Emotionen, den Blick konzentriert auf den Bildschirm gerichtet, spielen sie ihr Finale. 3:2 heißt es am Ende für „Kainaldo aus dem Pott“, wie ihm seine Freude aus dem Publikum zurufen. „In keiner Weise“ hat er mit diesem Erfolg gerechnet, und die Gründe für den Finalsieg sah Kai in seiner „Kontertaktik“. In sieben Tagen findet die internationale Entscheidung zum Fifa Interactive World Cup in Zürich statt, und Kai Kretschmann vertraut auf sein „defensives Spiel.“

Während der Sieger auf der Bühne Interviews gibt, ist Lothar Matthäus längst verschwunden und dennoch präsent: Vermutlich vor Freude über einen echten, runden Lederball, hatte er die Kugel in der realen Spielzone in Rekordgeschwindigkeit ins Netz gejagt. 94,5 km/h zeigt noch immer die Anzeigetafel an.