frisches flimmern
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Das ausgehende Jahr war für den deutschsprachigen Film gerade noch erfolgreich. Wie es weitergeht, zeigen zwei Filme, die am 1. Januar in den Kinos starten: Beide Filmhandlungen spielen in einer nahen Zukunft. Die Aussichten sind teilweise düster.

„Wolfzeit“ (F, D, A, 2003)

Der neue Film des österreichischen Regisseurs Michael Haneke, „Wolfzeit“, spielt in einer nahen Zukunft. Der Titel der österreichisch- französisch-deutschen Koproduktion stammt aus der Edda, einer altnordischen Sagen- und Mythensammlung, in der eine Seherin das Weltende beschreibt. Eine Familie aus der Großstadt fährt in ihr Sommerhaus aufs Land.

Doch wie in Hanekes Gewaltschocker „Funny Games“ (1997) trügt die anfängliche Idylle. Als Anne (Isabelle Huppert) und ihre Familie dort eintreffen, haben Fremde das Haus besetzt. Die erste Konfrontation endet mit dem Tod ihres Mannes Georges (Daniel Duval). Sie flüchtet mit den Kindern durch die Nacht. Begleitet werden sie von einem Jungen, der wie ein streunender Hund umherstreift. Sie retten sich in einen verlassenen Bahnhof. Dort schließen sich Anne und ihre Kinder einer kleinen Zweckgemeinschaft an, die auf den Zug wartet, der sie in Sicherheit bringt. Immer mehr Flüchtlinge strömen zum Bahnhof, der Mörder ist auch darunter.

Haneke, Sohn des Düsseldorfer Regisseurs und Schauspielers Fritz Haneke, entwirft ein dunkles Endzeitszenario. Das Thema in seinen Filmen ist der plötzliche Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung. Ihn interessiert die Reaktion des Menschen auf extreme Krisensituationen. Was zur vermutlichen Katastrophe in „Wolfzeit“ führte, spielt keine Rolle. Auch Hanekes neuester Film ist fürchterlich kompromisslos und voller Gewalt. Ein wunderbar kontroverses Werk, das mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.

“Blueprint“ (D, 2003)

Konventioneller ist dagegen das Science-Fiction Drama „Blueprint“ von Rolf Schübel. Vier Jahre nach seinem Erfolg mit „Gloomy Sunday“ (D 1999) hat der ehemalige Dokumentarist wieder einen Spielfilm gedreht. Die Mutter-Tochter-Versöhnungsgeschichte ist ebenfalls in einer nahen Zukunft angesiedelt.

Die Buchvorlage bildet der gleichnamige Roman von Charlotte Kerner: Die gefeierte Pianistin und Komponistin Iris Sellin (Franka Potente) leidet an Multipler Sklerose. Sich damit abzufinden liegt ihr nicht. Mit Hilfe des Wissenschaftlers Dr. Martin Fisher (Ulrich Thomsen) will sie heimlich einen Klon von sich erschaffen, um ihre künstlerische Genialität zu retten. Das Experiment ist erfolgreich. Nach Ablauf einer normalen Schwangerschaft bringt Iris ihre Tochter und Siri (Franka Potente) zur Welt. Sie entwickelt sich erwartungsgemäß zu einem musikalischen Wunderkind. Als Siri aber erfährt, daß sie in Wirklichkeit eine Blaupause ihrer Mutter ist, flieht sie in die Abgeschiedenheit der kanadischen Wälder. In Rückblenden erzählt Regisseur Schübel die Geschichte über den ersten geklonten Menschen und seiner Suche nach Identität. Das Science- Fiction-Drama ist aufwendig inszeniert. Gedreht wurde auch im Münsterland.

Doch trotz des brisanten Themas ist Schübels Abrechnung mit der wissenschaftlichen Anmaßung sehr einseitig. Das Fortschreiten der Handlung und das versöhnliche Ende ist zu offensichtlich. Mit sichtbarer Mühe spielt Franka Potente die Doppelrolle und stößt an ihre Grenzen als Darstellerin. Schübels Film kommt am 1. Januar in die Kinos. Ob sein neues Werk an den früheren Erfolg anknüpfen kann, ist fraglich. Vielleicht wäre die Versöhnungsgeschichte in der Vorweihnachtszeit besser platziert gewesen. Sogar der scheue Wapitihirsch im Film heißt Rudolf.

STEFAN ORTMANN