Der Retter hat den Blues

Der Social-Club Rheinhausen bildet Umschüler für Veranstaltungstechnik aus. Ex-Krupp-Betriebsrat und Arbeiterkämpfer Theo Steegmann macht auch mit. Die Vergangenheit wird er dabei nicht los

„Das Ruhrgebiet besitzt eine hohe Integrationskraft, das ist unsere große unsere einzige Chance“

VON HOLGER PAULER

„Irgendwann vor dem Supermarkt rechts rein“, sagt ein älterer Herr, „ganz schmaler Weg“, Der Social-Club in Rheinhausen, im kleinen Ortsteil Bergheim, ist nicht leicht zu finden. Aber zum Glück gibt es am Ort nur einen Supermarkt.

Hinter den Fassaden erwartet uns ein überdimensionierter, realsozialistisch anmutender Marktplatz. Auf dem Oval verlieren sich zwei Autos. Hundertmal so viele passen drauf. Dazu eine handvoll Menschen. Wer hier hinkommt will essen oder einkaufen. Zweimal die Woche ist Markt. Am Rand versteckt sich ein Party-Service. Beschlagene Scheiben. Auf 15 Quadratmetern wird deftige, gut bürgerliche Küche serviert: Rippe mit Kraut, Eisbein, Linsen-Eintopf – „Wo ist denn hier der Social-Club?“, will ich wissen. „Social wat?“, Achselzucken, „ach sie meinen den Jugendclub“, fragt die Köchin, „der ist am anderen Ende.“

Ein hässlicher siebziger-Jahre Flachbau. Plastik und Beton. Eingerahmt von mehren Einfamilienhäusern. Ansonsten: Kein Schild, kein Hinweis auf den Club, nichts. – Wir sind mit Theo Steegmann verabredet. Ehemals Betriebsrat bei Krupp Rheinhausen und Stratege im Arbeitskampf 1988, jetzt Geschäftsführer des Social-Club, einer Stätte für Begegnungen und Umschulungen im Bereich Veranstaltungstechnik.

Wir sind zu früh. Die Tür ist offen. Im Keller wird gehämmert. Die Treppe runter in die Mehrzweckhalle: Graffitis an den Wänden, „Wo sind die Basketballkörbe“, will ich wissen. „Gibt‘s nicht, hier wird Musik gemacht“, sagt Randolf Kieper, stellvertretender Vorsitzender des Social-Clubs. Kiefer renoviert mit einem Kollegen. Die Schüler sind im Praktikum. Zeit, zu arbeiten.

„Das Umfeld ist ein bisschen trostlos, aber Innen wächst etwas heran“, sagt Kieper „vor vier Jahren haben wir das Gebäude von der Stadt Duisburg gemietet. Die waren froh, dass sich einer drum kümmert.“ In den 70er Jahren war der Bau mal der modernste Jugendclub Deutschlands. Kaum zu glauben. Aber modern hieß damals: Quadratisch, praktisch, zweckmäßig.

Das Gebäude stand viele Jahre leer, vor dem Umbau unter Wasser. 150.000 Euro aus Krupp-Belegschaftsgeldern wurden in das Projekt gesteckt. „Das waren alles Bußgelder, damit ja kein falscher Eindruck entsteht“, platzt Theo Steegmann in unser Gespräch. Er ist sofort bei der Sache. „Hast du schon erzählt, dass wir 42 Teilnehmer hier ausbilden“, fragt er stolz. 23 Monate, dazu zwei dreimonatige Praktika „und das Beste, die meisten kriegen einen Job.“ Die Quote lag zuletzt bei 80 Prozent.

Die Qualität ist hoch. Höher als bei anderen Bildungsträgern, die bei ihren Angeboten eher durch Quantität glänzen. „Wir haben kürzlich sogar eine Anfrage der „Deutschen Oper am Rhein“ bekommen“, sagt Randolf Kieper. Die meisten arbeiten als Freiberufler, aber das sei im Veranstaltungsbereich normal. Das Geheimnis des Erfolgs liegt im Engagement. „Die Leute, die hier arbeiten, machen es nicht für das Geld“, sagt Kieper. Die Dozenten haben ein zweites Standbein. Die vier hauptamtlichen Mitarbeiter sind nur halbtags hier.

Vorbild für die Einrichtung waren „Social-Clubs“ in Nordengland. Die Clubs beherbergten Räumlichkeiten für soziale Kontakte – für die organisierten Arbeiter. Während des Thatcher-Regimes die letzten Oasen. Rheinhausen unterhält seit vielen Jahren Partnerschaften nach Nordengland. Während des Arbeitskampfes im Winter 1987/88 wurde die streikende Krupp-Belegschaft von englischen Kollegen unterstützt.

Damals stand ein ganzer Stadtteil gegen die drohende Schließung des Stahlwerks in Rheinhausen. Es schien, als hätten sie geahnt, dass dies vielleicht das letzte Gefecht des ausgehenden Industriezeitalters ist – zumindest im Ruhrpott. Der Kampf war unerbittlich und kräftezehrend. „Wir haben fast drei Monate nicht geschlafen“, sagt Theo Steegmann laut, dann macht er eine lange Pause, „wir dachten damals wirklich, wir könnten die Sache gewinnen.“ Die Fronten waren noch nicht geklärt. Dann wurde ein, von einem CB-Funker abgehörtes Gespräch in der taz abgedruckt. Daraus ging hervor, dass die Landesregierung um Johannes Rau und Friedhelm Farthmann eine Doppelstrategie führte: Gegenüber der Konzernleitung sprach sie sich für die Schließung des Werkes aus, die Öffentlichkeit wurde zum Durchhalten aufgefordert. „Der Glaube war erschüttert, die Energie weg als das bekannt wurde“, sagt Steegmann. Sein markantes Gesicht ist von tiefen Furchen geprägt. Dazu tiefe, schwarze Ränder unter den Augen. Der Arbeitskampf hat seine Spuren hinterlassen.

Der Rest war für die Konzernleitung nur noch Formsache. Der Kampf ging verloren. 3.000 Menschen wurden entlassen 2.500 konnten noch bleiben. Die endgültige Schließung kam im Jahre 1993 – trotz guter Produktionszahlen.

Steegmann wurde Geschäftsführer der Qualifizierungsgesellschaft RSH. Der Auftrag: Entsorgung des alten Stahlwerks. 1.000 Leute wurden durchgeschleust. Nur zehn Prozent sind in neuen Jobs angekommen.“Den Leuten fehlte der Biss“, sagt Theo Steegmann. Nach zwei Jahren seien viele einfach in die Langzeitarbeitslosigkeit abgetaucht. „Man hätte die Leute sanktionieren müssen.“ Steegmann klingt verbittert und sagt entschuldigend hinterher: „nur die wenigsten waren Kruppianer.“ Als das Gelände abgetragen war wurde die Gesellschaft liquidiert.

Theo Steegmann arbeitet weiter bei Krupp, halbtags. Die Verbundenheit zum Revier ist geblieben. Wegziehen kommt für den gebürtigen Niederrheiner nicht in Frage. „Ich liebe das Direkte der Menschen, das hat uns damals Ende der Achtziger so stark gemacht“, sagt er, „trotz der Niederlage. Das Ruhrgebiet besitzt ein hohe Integrationskraft, das ist unsere große Chance“, die einzige Chance. „Ansonsten“, glaubt Theo Steegmann, „fliegt hier alles in die Luft.“

Für Rheinhausen ist es vielleicht schon zu spät. Der Stadtteil ist wie ausgestorben. Über die Jahre gewachsene soziale Zusammenhänge lösten sich innerhalb kurzer Zeit auf. Tot-hausen wurde Anfang der 90er Jahre auf die Ortseingangsschilder gesprüht. Innerhalb weniger Jahre war die Stimmung gekippt. „Wenn du früher in die Kneipe gegangen bist hast du immer Bekannte getroffen“, sagt Randolf Kieper, „bei Schichtwechsel waren die Straßen schwarz, vor Menschen.“

Rheinhausen hat Krupp gelebt. Und die Leute waren gerne hier. Nach der Schließung gab es keine Entlassungen, die Leute wurden nach Bochum oder Dortmund geschickt. Anfangs pendelten sie zwischen Rheinhausen und ihren neuen Arbeitsstätten, später kehrten sie ihrer Heimat den Rücken, endgültig. Der Social-Club versucht nun, den da geblieben eine neue Heimat zu geben. Doch die soziale Anbindung fehlt noch. „Wir arbeiten dran“, sagt Theo Steegmann.

Momentan ist es ruhig im Haus. Bis zum 28. Februar sind die Leute im Praktikum. Zeit, das Gebäude zu renovieren. Die Mehrzweckhalle bekommt eine neue Anlage und neue Boxen.

Die Voraussetzungen sind gut, für die Schulungsteilnehmer und auch für die Gäste. Vor einigen Wochen fand ein Blues-Konzert statt. Vor über 200 Zuschauern. „Bei 300 machen wir den Laden dicht“, sagt Kiefer. Allerdings nur für Besucher.