Der Überbringer der Botschaft

Die Arm-sein-ist-Geil-Kampagne ist erfolgreich. Von Saturn verklagt zu werden, kann sich der evangelische Pfarrer Hans Hubbertz aber nicht leisten. Daher hat er die Kampagne eingestellt

VON MIRIAM BUNJES

Hans Hubbertz gönnt sich einen kleinen, verlegenen Lacher. 447 Mal findet google den Satz „Arm sein ist geil“ im Internet. Hubbertz hat ihn erfunden. Er ist Industrie- und Sozialpfarrer aus Recklinghausen und wippt mit seinem Schreibstuhl. Er versucht, nicht zu grinsen, als er die Zahl verkündet. „Na so was.“

Richtig bekannt gemacht haben ihn die, die seinen Satz verbieten wollen. Und das, „das hat schon was.“ Das Corpus delicti ist aus blauem Zeitungspapier und hängt in vier Variationen an der Glastür von Hans Hubbertz Büro. „Arm sein ist geil“ steht da in orangenen Lettern und „bei uns werden Arbeitslose jetzt noch billiger.“ Darunter das Bild einer Familie, die statt 927 Euro Arbeitslosenhilfe den Staat nur 67 Eurokostet.

„Indem der Sozialstaat abgebaut wird, wird er saniert, versucht uns die Regierung einzureden“, sagt Hans Hubbertz. „Ein Mythos.“ Er lehnt sich nach vorn, schiebt die Kaffeetasse beiseite. Das ist sein Thema, sein Auftrag. „Ich will in einer solidarischen Gesellschaft leben“, sagt er. „Und die wird durch die Agenda 2010 demontiert“.

Die Plakatidee kam beim Fernsehgucken. Werbung fasziniert Pfarrer Hubbertz. Überall entdeckt er zu Konsum-Zwecken umgedeutete christliche Symbolik, über das janusköpfige „Geiz ist geil“ von Saturn Hansa könnte er philosophische Werke verfassen. Oder sich die provozierende Bekanntheit eben zu Nutze machen. Aus der Idee wurden mit Hilfe seines Kollegen Volker Brockhoff professionell designte Plakate. Und dann kamen die Bestellungen: „20.000 in nur zwei Wochen - wir konnten es gar nicht fassen“, sagt Volker Brockhoff. Dass jetzt bald die Fernsehteams kommen, verdanken die beiden nicht nur ihren gut gemachten Plakaten. Demonstranten verteilten in Frankfurt und Gelsenkirchen in Saturn-Filialen „Arm sein ist geil“ Plakate an Kunden.

„Imageschädigend“ sei das für Saturn, erklärt Saturn-Sprecher Bernhard Taubenschläger. “Unsere Kunden bekamen den Eindruck, unsere Firma hätte etwas mit dem Sozialabbau zu tun.“ Und obwohl Saturn laut Taubenschläger die Kritik des evangelischen Kirchenkreises „im Kern symphatisch“ findet, „gegen eine massenhafte Verbreitung mussten wir etwas machen.“ Man wendet sich an den vermeintlichen Vorgesetzen in Berlin, Bischof Huber. Erst eine Woche und viele Plakatbestellungen später liegt das Fax in Recklinghausen. Der Ton wird schärfer. Aus Angst vor einer teuren gerichtlichen Auseinandersetzung stoppen Hans Hubbertz und Volker Brockhoff den Vertrieb.

„Und jetzt melden sich immer mehr Journalisten“, sagt Hans Hubbertz. Seine Fingerknöchel leuchten weiß, so fest hält er seine Kaffeetasse. Und wenn er sagt: „Heutzutage muss man sich die Medien zu Nutze machen können, um Botschaften rüberzubringen“, hört sich die Stimme nicht ganz so selbstbewusst an wie der Inhalt. Wie man den Medien Nachrichten serviert, hat er längst gelernt. “Ich biete immer etwas an, was man gut fotografieren kann“. Als die Stadt Recklinghausen ihr Abwassernetz an die USA verleaste, hat Pfarrer Hubbertz in der Fußgängerzone ein trojanisches Pferd aufgebaut. Über die Hartz-Reform ließ er die Bürger mit bunten Tennisbällen abstimmen.

„Nur so kann man heute Diskussionen anstoßen“, sagt Hubbertz. In der Bundestagsfraktion der SPD hat er offenbar keine neue Debatte über die Agenda 2010 angestoßen. Zwei Pakete mit Broschüren schickte er an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Feedback kam nicht.