wir lassen besichtigen
: Heimatloses Gedächtnis des Sports

Das Sportmuseum Berlin leidet unter erschwerten Wettkampfbedingungen: Es fehlen Ausstellungsräume

„Wissen Sie, wo das Sportmuseum ist?“ Der Pförtner am Sportforum im Berliner Olympiastadion weiß es und schickt den Besucher um die Ecke zum ehemaligen Verwaltungstrakt der britischen Armee. Allerdings fügt er hinzu, dass es doch eigentlich gar kein Museum ist, sondern bloß ein Archiv. Womit er Recht hat. Zumal man in einem richtigen Museum selten klingeln muss, um eingelassen zu werden. Das Sportmuseum Berlin ist aber immerhin das einzige Museum der Welt, das den Besucher mit dem Glockenklang des Londoner Big Ben empfängt.

Im Eingangsbereich fällt als Erstes eine Bronzebüste des Ringers Werner Seelenbinder auf, nicht gerade eine Hall of Fame, dieser dunkle Flur hier. Die Museumsleiterin Martina Behrendt erklärt die erschwerten Wettkampfbedingungen ihrer Institution: „Wir haben die größte Sportsammlung in der Bundesrepublik, aber auch das Handicap, völlig ohne Ausstellungsräume zu sein.“ Seit 1990 sei man etwa zehnmal in der Stadt kreuz und quer umgezogen, immer mit einer Menge Sportgepäck: mehr als 100.000 Objekte dreidimensionaler Art, große Sportgeräte sowie kleinste Medaillen und Anstecknadeln, eine sporthistorische Bibliothek von mittlerweile circa 37.000 Bänden, ein Archiv aus über 100.000 Einzeldokumenten sowie ein einmaliges Fotoarchiv, bestehend aus über 1,5 Millionen Negativen und Positiven. „Ich denke, wir sind tatsächlich das kollektive sporthistorische Gedächtnis dieser Stadt“, erklärt Martina Behrendt.

Ein Gedächtnis, das sich seit Jahren im Verborgenen auf das große Finale vorbereitet. 1990 wurden das „Sammlungszentrum Zentrales Sportmuseum der DDR“ und das Westberliner „Forum für Sportgeschichte“ zusammengeschlossen – abgesehen von einigen Sonderausstellungen konnten die Bestände jedoch niemals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Bevor Frau Behrendt weiter über die Raum- und Finanzmisere spricht, lädt sie zu einem Rundgang durch die Bibliothek und das Archiv des Museums ein, raschelt in Programmen von Sportfesten aus den Dreißigerjahren und zieht wissenschaftliche Bände über umstrittene Sportpersönlichkeiten wie Turnvater Jahn oder Carl Diem aus den Regalen. Wer sich bei der Historikerin oder ihren vier Mitarbeitern anmeldet, kann hier recherchieren oder eine kleine Führung mitmachen.

Die attraktivsten Ausstellungsstücke des Museums im Dornröschenschlaf bekommt jedoch niemand zu sehen – sie befanden sich bis vor einiger Zeit in Neuruppin, neuer Lagerplatz ist ein Depot in Berlin. Zum Beispiel die olympische Hochsprunganlage von 1936. Oder das gelbe Trikot von Jan Ullrichs Tour-de-France-Sieg. Von Frau Behrendt lernt man, warum auch eine kleine Schaufel ins Sportmuseum gehört: „Bei den Olympischen Spielen 1936 gab es noch keine Startblöcke, sondern die Teilnehmer mussten sich ihre Startlöcher mit Schäufelchen selbst in die Aschenbahn graben.“

Und schon versteht man, warum heute noch gesagt wird, dass jemand „nicht aus den Startlöchern kommt“. Was ja auch irgendwie auf das Sportmuseum zutrifft. Als Teil der Berliner „Stiftung Stadtmuseum“ leidet es auch unter der Finanzmisere der Hauptstadt. Mit einem jährlichen Etat von knapp 280.000 Euro ist keine Medaille zu gewinnen. Sogar über eine komplette Schließung wurde nachgedacht, die aber zum Glück abgewendet werden konnte. Und deshalb gibt Martina Behrendt die Hoffnung nicht auf. Anlässlich des Deutschen Turnfestes 2005 und der Fußballweltmeisterschaft 2006 sind Sonderausstellungen geplant, die vielleicht in eine Dauerausstellung münden. Ein Gebäude jedenfalls hat die Historikerin bereits im Auge: die ehemalige Deutsche Turnschule auf dem Olympiastadiongelände.

Es wäre dann das erste Mal, dass Frau Behrendt eine Museumsleiterin mit Museum wäre. Und dass es dann in Berlin ein richtiges Sportmuseum gäbe. Im Augenblick ist es nur ein Museum auf der Ersatzbank. „Aber trotzdem bleibt es eine Kuriosität“, schließt Martina Behrendt.

JUTTA HEESS