„Bush will den Irak zum Satellitenstaat machen“, sagt Norman Birnbaum

Vom Irak hängt ab, wer nächster US-Präsident wird: Wenn die Demokraten klug sind, bleiben sie auf Anti-Bush-Kurs

taz: Herr Birnbaum, wird George W. Bush nach der Gefangennahme von Saddam Hussein als Befreier des Irak in die Geschichtsbücher eingehen?

Norman Birnbaum: Ich habe dafür keine Anhaltspunkte. Was es auch immer für eine Befreiung sein wird, sie korrespondiert nicht mit der aktuellen Situation im Irak. Und die imperialen Ambitionen der USA haben wenig mit Demokratisierung zu tun, auch wenn niemand letztlich das Urteil der Geschichte kennt

Dann hat Howard Dean, der demokratische Spitzenkandidat, Recht, wenn er sagt, dass Husseins Festnahme die USA nicht sicherer macht?

Ja. Es bleibt abzuwarten, ob der irakische Widerstand kollabiert. Dann wird dies sicher ein Triumpf für Bush. Die Festnahme löst jedoch keines der drängenden Probleme beim Wiederaufbau, der Etablierung demokratischer Institutionen, der Ausübung der US-Macht in der Region und der Bekämpfung des internationalen Terrors.

Wenn die Lage für die USA also prekär bleibt – wird Bush seine Irakpolitik ändern?

Bush und die Republikaner werden eine kalkulierte Entscheidung treffen, die am ehesten seiner Wiederwahl hilft. Wenn sie glauben, das es das Beste sein wird, die Truppen im Irak zu lassen, dann werden sie dies tun. Demokraten, die dagegen opponieren, werden sie dann als unpartiotische Feiglinge diffamieren.

Oder Bush wird vorzeitig den Rückzug beginnen, versuchen eine Marionettenregierung zu bilden und das Ganze dann als Erfolg der Demokratierung verkaufen. Dafür benötigt er jedoch die Mitarbeit der UNO und Europäer. Er wird versuchen, Frankreich und Deutschland irgendwie einzubinden, ohne notwendige Zugeständnisse zu machen und die politische Kontrolle an die UN abzugeben.

Die USA werden also alles versuchen, sich ihren Einfluss im Irak zu sichern? Und die viel beschworene Internationalisierung des Irak …

… scheint mir eine Fantasie zu sein. Franzosen, Deutsche und Russen sehen nicht ein, dass ihre Soldaten erschossen werden. Und UNO-Entscheidungen hängen von einer Zustimmung der dieser Länder ab. Gegenwärtig sehe ich keine Bereitschaft der Kriegsgegner, den USA in der instabilen und gefährlichen Situation unter die Arme zu greifen, es sei denn, die Bush-Regierung gibt ihr strategisches Ziel auf, den Irak zu einem Satellitenstaat zu machen.

Dies ist das Hauptziel der US-Regierung im Irak?

Absolut.

Was muss getan werden, um die Situation der irakischen Bevölkerung zu verbessern?

Das sollen die Iraker entscheiden. Klar ist nur, dass sie schlecht beraten sind, sich auf die USA zu verlassen, wenn es darum geht, ein friedliches und demokratisches Regime zu errichten. Die jüngsten Nachrichten von Seiten der Amerikaner sind nicht ermutigend. Nehmen Sie nur den Einsatz gegen Untergrundkämpfer, den die US-Streitkräfte von der Taktik der Israelis entlehnt zu haben scheinen, indem sie Dörfer mit Stacheldrahtzäunen abriegeln, Gebäude sprengen und mit Raketen Jagd auf vermeintliche Rebellen machen.

Wird der Irak zum Westjordanland der USA?

In gewisser Hinsicht ja, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. Der Süden ist relativ ruhig, ebenso die kurdischen Gebiete.

Nach der Gefangennahme von Hussein wird darüber debattiert, wie ihm der Prozess gemacht werden soll. Wollen die USA ein rasches Verfahren? Immerhin kann Saddam delikate Informationen über die Verbindungen zwischen den USA und seinem Regime in den 80ern enthüllen?

Es ist kein Geheimnis, dass die USA biologische und chemische Waffen lieferten und militärische Unterstützung im Krieg gegen den Iran leisteten. Ein fairer Prozess mit unabhängigen Anwälten und Zeugen auf Husseins Wunsch hin kann jedoch darüber hinaus weitere unrühmliche Informationen offenlegen und peinlich für die Amerikaner werden.

Die Demokraten haben nach der Festnahme Saddam Husseins ihre Kritik an Bushs Irakpolitik fast eingestellt. Lässt sich so das Weiße Haus zurückerobern?

Auf keinen Fall. Howard Dean hat gerade deshalb eine so starke Unterstützung der Parteibasis und auch zunehmend im Establishment, da er am wenigsten „Bush light“ verkörpert. Um demokratische Stammwähler zu mobilisieren, kann man keine butterweiche Wahlkampagne führen. Das Gerede, die Wahlen werden in der Mitte gewonnen, ist Nonsens, der von Journalisten gern wiederholt wird. Alles hängt davon ab, die eigene Wählerschaft zu aktivieren.

Selbst Republikaner warnen mittlerweile, dass Dean Bush schlagen kann.

Das Rennen ist momentan völlig offen. Wir sind eine enorm polarisierte Gesellschaft. Es gibt zu viele veränderbare Faktoren und die Kugel kann schnell in beiden Richtungen rollen.

Jenseits von Spekulationen gibt es aber ein wachsendes Unbehagen im politischen Establishment über die Richtung der US-Außenpolitik. Wird das Auswirkungen auf den Wahlkampf haben?

Neben der Opposition sind die alten republikanischen Internationalisten und Realisten sowie Teile der Wirtschaftselite beunruhigt über die Radikalisierung der Außenpolitik unter Bush. Die Frage ist, ob die Demokraten davon profitieren können.

INTERVIEW: MICHAEL STRECK