Geld und Glaube der Imame

Im säkularisierten Frankreich blockieren sich die Mitglieder des Muslimrates gegenseitig

PARIS taz ■ Wenn die französische Regierung ihn nicht brauchte, würde es den „Conseil français du Culte musulman“ – den Muslimrat – bis heute nicht geben. Dazu sind die Interessen der MuslimInnen viel zu unterschiedlich. Die meisten definieren sich, wie ihre nichtmuslimischen Landsleute, nicht über ihre Religion. Für die anderen gilt, dass sie aus einem halben Dutzend verschiedener Länder stammen, dass sie ihre Religion meist als Privatsache betrachten und keine institutionelle Beziehung zum Islam pflegen, dass sie unterschiedliche Riten befolgen. Und dass sie kein gemeinsames Oberhaupt kennen – weder in religiösen, noch in weltlichen Fragen.

Nicht einmal die Zahlen sind bekannt. In Frankreich, wo die Trennung von Staat und Religion Verfassungsrang hat, wird die Religionszugehörigkeit nirgends offiziell erfasst. Über die Zahl der MuslimInnen gibt es nur Schätzungen. Sie reichen von 3 bis 7 Millionen Menschen. Den Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden nahmen sie als Verbrechen zur Kenntnis – für aufgeregte Debatten sorgte er in Frankreich nicht.

In Frankreich wurden die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Islam Mitte der 90er-Jahre zum Thema. Seither suchen alle Innenminister in Paris händeringend nach Kontakten in die muslimischen Gemeinden. Den Ministern geht es darum, die Ausbildung und Auswahl von Imamen zu formalisieren sowie die mehrheitlich aus dem Ausland kommende Finanzierung der Gemeinden transparent zu gestalten. Umgekehrt hoffen die beteiligten islamischen Gruppierungen auf Geld und darauf, ihren jeweiligen Einfluss auf die MuslimInnen im Land vergrößern zu können. Nicolas Sarkozy schusterte schließlich, noch als Innenminister, eine Institution zusammen. Im Jahr 2003 organisierte er „Wahlen“ in den Moscheen.

Sarkozys Durchmarsch hat seinen Preis: Ein Drittel der 1.500 registrierten muslimischen Gebetsstätten beteiligt sich erst gar nicht an seinen „Wahlen“. Die anderen verschaffen den fundamentalistischen Gruppierungen die Mehrheit im Rat. Dennoch benennt Sarkozy den aus Algerien entsandten und eher aufgeklärten Rektor der Moschee von Paris zum Ersten Präsidenten des Rates. Seither sitzen sich vier Gruppierungen im Rat gegenüber: die den ägyptischen Muslimbrüdern nahe stehende UOIF, die teilweise aus Algerien finanzierte Moschee von Paris, die aus Marokko kommende FNMF und die türkische CCMTF. Die Vertreter dieser Gruppierungen drohen abwechselnd mit Rücktritt, bleiben den Sitzungen monatelang „aus Protest“ fern oder blockieren sich gegenseitig. Der Rat war in diesem Jahr nicht einmal in der Lage, eine gemeinsame Erklärung über den exakten Beginn des Fastenmonats Ramadan in Frankreich abzugeben und streitet bereits seit Monaten über die Modalitäten und den Termin für die im nächsten Jahr geplanten Neuwahlen.

Die Mehrheit der MuslimInnen in Frankreich nahm den Rat erst wahr, als seine Führungsmitglieder im September nach Bagdad reisten, um dort zur Freilassung von zwei entführten französischen Journalisten aufzurufen. In ihren zentralen Aufgabengebieten hingegen haben sie bis heute nichts zustande gebracht. Innenminister Dominique de Villepin hat jetzt eine Frist gesetzt: Binnen drei Monaten erwartet er vom Rat Vorschläge zur Gründung einer muslimischen Stiftung. Und einen Ausbildungsplan für ein Imam-Diplom. Die Stiftung soll die Millionen, die alljährlich aus dem Ausland kommen, aber auch die Spenden aus Frankreich kanalisieren. Die diplomierten Imame sollen die Nachfolge jener rund tausend Männer antreten, die gegenwärtig – meist nebenberuflich – die muslimischen Gebetsstätten Frankreichs betreuen. Die meisten von ihnen können weder die Sprache, noch kennen sie die Rechte Frankreichs. DOROTHEA HAHN