Appelle an den nationalen Stolz

Eine apathische Wählerschaft wartet auf den Wahlsonntag in Serbien. Im sozial ruinierten Land verstärkt sich eine rechtsnationalistische Stimmung

AUS BELGRAD ANDREJ IVANJI

Belgrad glitzert in der Winternacht. Festlich dekorierte Weihnachtsbäume, bunt geschmückte Straßen, eine Lightshow von zahllosen Glühlampen zieren die City. Die orthodoxen Serben feiern Weihnachten am 7. Januar. Die glanzvolle, schneebestäubte Idylle wird jedoch von politischer und existenzieller Ungewissheit getrübt. Verarmte Bürger gehen deprimiert an luxuriös ausgestatteten Auslagen vorbei. Die meisten Geschäfte sind menschenleer, die Cafés und Bars zwar voll wie üblich, aber die Gäste bestellen wenig. Am morgigen Sonntag wird das Parlament gewählt.

Die Wahlkapagne hat keinen Enthusiasmus bei den apathischen, enttäuschten Wählern ausgelöst. Die ultranationalistische Radikale Partei (SRS) spricht vom nationalen Stolz, vom Kosovo, verspricht, keine Serben dem UNO-Tribunal für Kriegsverbrechen auszuliefern. Die nationalistische, moderate Demokratische Partei Serbiens (DSS) schwört, Institutionen eines Rechtsstaates aufzubauen. Die Demokratische Partei (DS) des ermorderten Premiers Zoran Djindjić, gibt reuig zu, im Parlament „gemogelt“ zu haben, und schwört, es nie wieder zu tun. Der in Vergessenheit geratene monarchistische Wirrkopf Vuk Drašković und seine Serbische Erneuerungsbewegung (SPO) wollen den König an der Spitze Serbiens sehen. Parteien wie „G 17“ oder die Christdemokraten (DHSS) werben für ein unabhängiges Serbien und wollen der „aufgezwungenen“ Staatengemeinschaft mit Montenegro ein Ende setzen.

Noch vor drei Jahren war man in Serbien entweder „für“ oder „gegen“ Milošević. Die schwarz-weiße ideologische Auseinandersetzung hat nach der Wende eine bunte, vielfältige politische Landschaft ersetzt. Neunzehn nationalistisch-patriotische und bürgerlich-proäuropäische Kräfte stehen den serbischen Bürgern zur Wahl. Finessen einzelner Parteiprogramme spielen dabei keine Rolle. Parteien deklarieren sich zwar als sozial- oder christdemokratisch, liberal oder sozialistisch, die Wähler der jungen Demokratie können aber damit recht wenig anfangen – ebenso wenig wie die meisten Politiker. Eine Grüne Partei gibt es gar nicht. Bevor ökologische Probleme Bedeutung bekommen, müssen die Bürger Serbiens erst mal wissen, in was für einer Staatsordnung sie überhaupt leben, wo die Staatsgrenzen liegen, welche Hymne sie singen sollen, welche Fahne und Wappen man hat.

„Ich finde es zum Kotzen, wenn bürgerlich-demokratische Politiker den serbisch-orthodoxen Popen die Hand küssen, sich vor laufenden Kameras pathetisch bekreuzigen und mit nationalistischen Parolen auf Stimmenjagd gehen“, sagt der Historiker Srdjan Jovanović. Im sozial ruinierten Serbien sei nach der Ermordung von Djindjić eine rechtsnationalistische Stimmung gewachsen, und anstatt dagegen mit allen Mitteln zu kämpfen, mache man „faule Kompromisse“, um besser bei den Wahlen abzuschneiden.

Ausnahmsweise werden am Sonntag die Wähler demokratisch über das Schicksal Serbiens entscheiden. Der erwartete Sieg der rechtsradikalen Kräfte wäre ein schwerer Rückschlag für die europäische Zukunft des Landes.