Lichte Größe

KUNSTFRÜHLING In einer gewaltigen Industrieruine mitten in Bremen präsentiert sich zehn Tage lang die gesamte zeitgenössische Kunstszene des Nordwestens. Das Ergebnis ist ein Hybrid zwischen Messe und einer starken Ausstellung, die am Ende doch sehr bremisch dominiert ist

Der Ausstellungsort, die alte Gleishalle eines Güterbahnhofs, besticht vor allem durch schiere, kaum zu erfassende Größe

VON JAN ZIER

Es ist – ja, was eigentlich? Der Titel „Kunstfrühling“ hilft zunächst kaum weiter, auch wenn es seit 1985 schon der sechste seiner Art in Bremen ist. Und schließlich soll hier 2009, anders als früher, die ganze zeitgenössische Kunst des ganzen Nordwestens präsentiert werden. Wenigstens aber die der Metropolregion Bremen-Oldenburg, jenem bislang eher artifiziellen politischen Gebilde. Man könnte den „Kunstfrühling“ also eine regionale Leistungsschau nennen – aber das, sagt der Hamburger Kurator Dirck Möllmann, „hat sofort den Markt im Hintergrund“.

Und der „Kunstfrühling“ kommt eher unkommerziell daher, lediglich in den Kojen der 16 Galerien finden sich dezente Preisschildchen, mitunter. Das Ziel ist nicht in erster Linie, das verkauft wird. Also kein Vergleich zu den großen Kunstmessen. Der „Kunstfrühling“ ist keine Regionalausgabe etwa der jüngst beendeten „Art Cologne“. „Es ist eine Synopse dessen, was in der hiesigen Kunstlandschaft gerade passiert“, sagt Möllmann. Und etwas, was es in Hamburg so nicht gibt.

Organisiert wird der „Kunstfrühling“ vom Bremer Verband Bildender KünstlerInnen und Künstler (BBK). Also einer Lobbyorganisation. Und die hat alle namhaften Institutionen und Museen des Nordwestens versammelt, das Neue Museum Weserburg ist hier ebenso vertreten wie das Edith-Ruß-Haus in Oldenburg, die Kunsthalle Bremen genauso wie die vor allem überregional anerkannte Gesellschaft für Aktuelle Kunst in Bremen. Und so weiter. Sie alle sitzen hier im Kuratorium, sie alle sind hier mit eigenen Räumlichkeiten, Präsentationen, künstlerischen Positionen vertreten.

Und zwar an einem Ort, der vor allem durch seine schiere Größe beeindruckt. Und durch den Verfall, der ihm mittlerweile innewohnt. Das Ende der Gleishalle im alten Bremer Güterbahnhof lässt sich schon kaum erahnen, wenn sie leer steht. Wie meist. Die Stätte ist eine zentral gelegene, indes lange aufgelassene Industrieruine, sechs bis acht Meter hoch, fast 200 Meter lang, symmetrisch von alten Schienenwegen durchzogen. Und doch gleichmäßig lichtdurchflutet. Ein Raum, der auch jetzt nur an einigen Stellen mit jenen „White Cubes“ überbaut ist, in denen zeitgenössische Kunst meist stattfindet.

Genau die Auseinandersetzung mit dieser Gleishalle ist Inhalt einer jurierten und von Möllmann kuratierten Gruppenausstellung „Spring“ – zugleich Kern des diesjährigen Kunstfrühlings. In Hamburg machte Möllmann kürzlich durch seine Ausstellung „Man Son 1969. Vom Schrecken der Situation“ von sich reden. In Bremen versammelt er auf einer 2.500 Quadratmeter großen Plattform 45 KünstlerInnen, eine Auswahl aus 174 Bewerbungen. Eingeladen war, wer aus der Metropolregion kommt, wenigstens aus dem Dreieck Emden, Cuxhaven und Osnabrück. Oder hier zumindest einen wesentlichen Teil des eigenen künstlerischen Lebens verbracht hat. Am Ende haben aber doch mindestens drei Viertel der bei „Spring“ vertretenen KünstlerInnen in Bremen ihren Ursprung. Nein, sagt Möllmann, es sei nicht so, dass es jenseits dessen kaum talentierte KünstlerInnen gäbe. „Aber es verdichtet sich in den Städten“. Und was ist mit Oldenburg? Von dort gab es kaum Bewerbungen. Eine Kunsthochschule haben sie auch nicht.

Gut die Hälfte der Arbeiten ist neu, nur für diesen Ort und immer auch auf Kosten der KünstlerInnen entstanden. Für Gage war bei einem Förderetat von rund 120.000 Euro eben kein Geld da. Und was fest verbaut ist, bleibt – zumindest solange die Gleishalle nicht abgerissen wird. Reinhold Buddes Arbeit „11.41“ etwa, eine Erinnerung an den nahe gelegenen ehemaligen Loyd-Bahnhof, von dem aus im November 1941 mehrere hundert Juden deportiert wurden. Auf 11,41 Metern hat Budde zwei parallel verlaufende Gleisbetten monochrom geschwärzt. Schlicht. Imposant. Zumindest für jene, die den Titel zu entschlüsseln vermögen.

Mitunter verliert sich die Grenze zwischen Ort und Installation aber auch, nicht nur bei Christian Haake, der eine überdimensionierte Holzpalette positioniert. Manches gehörte irgendwie auch schon vorher zum Ort – oder nicht? Manches verschwimmt symbiotisch, gewollt oder ungewollt. Anderes wirkt wie ein Fremdkörper, etwa Susanne Bollenhagens ornamentale, an den Bremer Dom erinnernde Gestaltung eines Pfeilers. Wiederum anderes erschöpft sich in einer dokumentarischen Zweitverwertung dessen, was nur anderenorts zu sehen war, etwa Achim Manz’ in Dresden installierte „Ruhezonen“, eine bewegliche, nutzbare Plattform, geschaffen für ein Überschwemmungsgebiet.

Oder aber die Dokumentation ist selbst Kunstwerk geworden, so wie Margret Rós Hardadóttirs „Eisberg“ – im Original ein Häkelwerk, in Bremen in einer Schmelzfassung zu sehen. Die Bandbreite reicht über Fotografie und Malerei über Videokunst, Klangwerken und Installation bis hin zu Graffiti und Comics. Oder da wird ein Schießstand aufgebaut, dessen vom Publikum zu zerfetzende Schießscheiben am Ende selbst Teil eines Archivs, möglicherweise auch späterer Installationen werden. Die Weserburg hat sogar so etwas wie „Impro-Kunst“ im Programm. Das alles folgt freilich keiner irgendwie zusammenhängenden These. Das ist aber kein Mangel.

bis 17. Mai; www.kunstfruehling.de