Das Lied mit einem leichten Schmunzeln um den Gesang und einfach nur gut: Neues von Kitty Hoff und Keimzeit

Was ist ein Chanson? Scheint eine simple Frage, ist aber doch recht komplex. Denn zuerst einmal, einfach übersetzt, ist das Chanson nur: das Lied.

Aber natürlich sprechen wir, wenn wir vom Chanson sprechen, von einem recht abgezirkelten Genre, sprechen von Edith Piaf, von Barbara oder Jacques Brel. Ernsthaft vertrackt allerdings wird die Sache in dem Moment, in dem wir Chanson sagen, aber gar keine wirklich musikalische Kategorie mehr meinen, sondern eher ein Gefühl, eine Atmosphäre, eine gewisse modische Dramatik, die milchige Farbe von Pastis im Glas oder den langsam sich auflösenden Rauch einer Gauloises. In diesem Spannungsfeld bewegen sich Kitty Hoff & Forêt-Noire nun bereits zum dritten Mal. Mit „Zuhause“ aber beweist die in Münster aufgewachsene Berlinerin aufs Neue, dass sie in der Lage ist, ohne anzuecken, durch dieses Spannungsfeld zu manövrieren.

In ihren Texten stehen Frauen auf Brücken, drehen sich Riesenräder und leuchten 1000 Sterne, ohne dass die Lieder sofort vom Kitsch übermannt würden. Das liegt daran, dass sich Hoff zwar ausdrücklich bekennt zum Nouvelle Chanson, jener mit Namen wie Benjamin Biolay oder Keren Ann verbundene Erneuerung des verstaubten Nationalheiligtums, und auch deren freizügigeren Umgang mit den klassischen Vorgaben adaptiert. Den dramatischen Gestus der französischen Jungchansonniers allerdings, den übernimmt sie bestenfalls, um ihn so dezent wie respektvoll zu karikieren.

Das tut sie zwar lange nicht mehr so offensichtlich wie auf ihren früheren Veröffentlichungen, aber wer die Welt des Zirkus mal wieder als Parabel auf das Leben besingen will wie Hoff in „Sehr weit oben“, der kann heutzutage gar nicht auf Ironie verzichten. So liebevoll Hoff sich also auch der Klischees des Genres annimmt, sosehr sie noch die kleinsten Details kopiert, scheint doch jederzeit ein leichtes Schmunzeln um ihren Gesang herumzuspielen. Ein Verfahren, das auch ihre Begleitband anwendet: Da klingt ein Gitarrensolo plötzlich einen Moment nach Schweinerock, verharrt das dramatisch hämmernde Klavier einen Hauch zu lang auf ein und derselben Note.

Chanson war nicht unbedingt die Schublade, in die Keimzeit bislang vornehmlich gesteckt wurden. Ein Fehler, denn zumindest emotional war die ursprünglich aus dem brandenburgischen Lütte stammende Gebrüderbande dem Genre immer nah. Auch für „Stabile Währung Liebe“, dem neunten Album der Band, hat Norbert Leisegang wieder seine stets fein formulierten, subtil distanzierten Texte verfasst, die er mit jener bekannten Schnoddrigkeit vorträgt, die noch jede große Geste abzumildern versteht.

Hätten Keimzeit nicht zu lange Jahre als liebste Vorzeigeband des ostdeutschen Alternativ-Freaks verbracht, dann wüssten verdientermaßen womöglich viel mehr Menschen auch anderswo, was der ewige Geheimtipp Norbert Leisegang ist: nämlich einer der wundervollsten Liedermacher dieses Landes. Und Liedermacher heißt auf Französisch übrigens: Chansonnier. THOMAS WINKLER

■ Kitty Hoff & Forêt-Noire: „Zuhause“ (Blue Note Germany/EMI) live 13. 5. Admiralspalast

■ Keimzeit: „Stabile Währung Liebe“ (Comic Helden/Edel)