Schweizer Messer-Reform

Die Firma Wenger peppt ihr Schweizer Offiziersmesser auf: Neues Design soll das Marken-Image entstauben

In der Schweiz wird dieser Tage an einem Mythos geschnippelt. Das Schweizer Offiziersmesser soll nach mehr als hundert Produktionsjahren in Form gebracht werden. Dank zweier wohl durchdachter Dellen für Daumen und Handballen wird es besser in der Hand liegen.

Zunächst aber liegt das neue Messer quer zu allen Traditionsdiskursen eines Landes, das seine Geschichte, zumal seine Militärgeschichte, schon immer erfolgreich zu Markte getragen hat. Gerade erst wurde die eidgenössische Militärdecke – das Schweizerkreuz auf schwerem, grauen Filz – als Lifestyle-Produkt geadelt. Zu beziehen etwa über den Edel-Versender Manufactum.

Das Schweizermesser aber symbolisierte immer das genaue Gegenteil eines Trends. Eine kleine verlässliche Größe, die aus den Hosentaschen der Großväter irgendwann in die der Enkel wanderte. Mit seinem ersten Messer, so ein archaischer Verweis auf unsere jagenden Vorfahren, wird ja der Junge ein bisschen mehr zum Mann. In katholischen Gegenden waren die roten Messer mit den vielen Funktionen lange Zeit ein beliebtes Geschenk zur Heiligen Erstkommunion. Damals, in prädigitalen Dekaden.

Genau darum dürfte es der Firma Wenger gehen: die zweitgrößte Messerschmiede der Schweiz will wohl das Marken-Image entstauben – auch wenn die formalen Retuschen angeblich einzig der besseren Funktionalität dienen sollen.

Dumm nur, wenn die Kunden in aller Welt, vor allem aber in Japan und den USA, genau diesen Staub begehren. Was zumindest Norbert Wild, Kurator der Designsammlung am Museum für Gestaltung in Zürich, für nicht unwahrscheinlich hält. Ist doch das Schweizer Offiziersmesser bereits Retro-Produkt – auch wenn es nie vom Markt verschwunden war. Für Wild ist fraglich, ob es der Firma Wenger gelingen wird, den Klassikerstatus des Messers auf das neue Modell zu übertragen. Zumal die Firma Victorinox die vielseitigen Armeemesser weiterhin in traditioneller Hülle vertreibt, die bereits in den Siebzigerjahren in die Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art aufgenommen wurde.

Aber ist das Schweizermesser wirklich reif fürs Museum? Aus der nahen Ferne mutet es rührend an, wie ein gestaltetes Produkt plötzlich das nationale Selbstverständnis eines Landes tangiert. Vom VW Käfer haben sich die Deutschen damals widerstandsloser verabschiedet. Und wenige Jahre später den neu aufgekochten New Beetle verschmäht. CLEMENS NIEDENTHAL