Zigaretten, Frikadellen, Bott

Ein Mann, ein Geburtstag: Viva-Maria-Preis-Auslober Dieter Bott wurde 60

Längst hätte er sie in einem langen Monolog zur Sau gemacht

„Ein Bett gibt’s hier immer, komm vorbei!“ Die ein wenig dünne, dem Überzeugungsbass der Imponierredner entbehrende Stimme fährt in die Höhe, und im beinahe gleichen Augenblick kommt Dieter Bott am Telefon auf die Bild-Zeitung, den Sportwahnsinn und Adorno zu sprechen. Bei dem hat er, wie einige prahlerischen Tausendschaften der Republik, studiert und etwas gelernt, das fast 100 Prozent der heute so verhockten wie versorgten Adorno-Schüler entweder guten Gewissens verlernt oder nie beherzigt haben, beherzigt in einem Sinne, der in dem schönen Wort der Herzensbildung ausgedrückt ist – dass Bildung nämlich, bei aller begrifflichen Anstrengung, etwas mit Herz und nicht mit gebieterischem Auftreten, dass sie nichts mit Einschüchterung und Herrschsucht, sondern mit dem Gegenteil dessen zu tun haben sollte.

Dieter Bott hat von Adorno auch gelernt, dagegen zu sein, ab ovo. Nur der Geist der Negation bleibt in Bewegung. Der Düsseldorfer Privatgelehrte und Sportsoziologie, dessen nahezu unentgeltliche Seminare über Kritische Theorie und die „Sportifizierung“ der Gesellschaft an der Universität Duisburg aus Kostengründen gestrichen wurden, lebt in der Lichtstraße, hoch droben unterm Dach, wo sich in einer aus älteren Zeiten überdauernden WG-Atmosphäre Zeitungen stapeln, Exzerpte türmen und neueste Publikationen des so genannten linken Spektrums herumkugeln, zur präzisen Sichtung; nebst Prospekten und Broschüren aller Art, in denen sich die offizielle Öffentlichkeit mitteilt, damit sie von Dieter Bott in verqualmter Luft zerrissen wird.

Schopenhauer lebte an der Schönen Aussicht in Frankfurt am Main. Das passte nicht. Der Weltgrattler wäre in der Gasse mit Namen „Im Trutz Frankfurt“ besser aufgehoben gewesen. Dieter Bott allerdings wohnt geistesaffin – als unbeirrbarer Aufklärer, den nicht mal die Not oder die Angst (vor Arbeitslosigkeit, vor Ächtung durch seine ehemaligen Frankfurter Grünen-Bekannten) aus den Schuhen der Kritik wirft, sofern die Metapher hier durchgeht. Dieter Bott hätte sie längst in einem seiner legendären Monologe am Kneipen- oder Küchentisch zur Sau oder doch zur friedlichen Schnecke gemacht. Denn so groß Bott als Redner ist, so großmütig ist er als empathischer Charakter und als unwillentlich komischer Parleur, dem bevorzugt die stehenden Redewendungen beglückend freestyleartig durcheinander rauschen. „Dem werde ich mal richtig Licht einschenken“, hab ich ihn mal sagen hören, und ich war froh, das zu hören.

Dieter Bott ist alles, was Joschka Fischer nicht ist, und er ist nichts, was Michael Rutschky wurde, mit dem er in Jugendjahren im Freibad herumhing. Er ist weder Essayist noch Politiker. Er schreibt keine Regierungskolumnen und redet kein Blech. Er hat mich auf einen recht vergessenen Roman von Joseph Roth hingewiesen, wofür ich ihm auch dankbar bin, und er hat mir mehrmals ein Frühstück kredenzt, das ich kaum angemessen genießen noch würdigen konnte, weil derweil seine Ausführungen, in deren „Verlauf“ (J. Fischer) zirka eineinhalb Schachteln Zigaretten Marke Attika Extra Long dran glauben mussten, zu einnehmend waren.

Vor zehn Jahren hat Bott sein kleines Erbe gestiftet und den Viva-Maria-Preis ausgelobt, „für linke und radikale Gesellschaftskritik und Projekte, denen die gesellschaftliche Anerkennung verweigert wird“, wie einer seiner bis heute auf der Schreibmaschine getippten Rundbriefe kundgab. Preisträger waren u. a. Christian Schmidt, der in der Titanic Matthias Horx zerlegt hatte, und Wolfgang Pohrt.

Nun ist Bott am 25. Dezember sechzig Jahre alt geworden, und er möge bitte mindestens noch mal die Hälfte draufpacken. Einer, der den Mistladen namens Gesellschaft eigentlich nicht aushält und sich dennoch unvermindert an der Analyse der alltäglichen Katastrophe versucht, ohne zu resignieren, darf sich nicht wundern, wenn man ihn, der meint, per Geburtszufall mehr oder weniger mit Jesus konkurrieren zu müssen, ein paar durchgefeierte Tage später mit Girlanden behängt. Das sei hiermit geschehen, dem Fetisch Aktualität entgegentretend und zu Ehren des augenblicklich arbeitslosen „Lehrmeisters der Kritischen Theorie“, wie das Düsseldorfer Stadtblatt terz den „Antiklerikalen“ und „Anarchisten“ anlässlich seiner Geburtstagsfete zu Recht taufte.

In zwanzig Jahren aber, beim Achtzigsten, erbitte ich mir einen Großraumteller mit Dieter Botts hausgemachten Frikadellen. Die sind fast noch einen Deut schärfer als Adornos gesamte Theorie, die Bott weiterträgt, weil sie hilft, nicht dumm zu werden. JÜRGEN ROTH