„Alles wie früher“

Nach schwerer Krankheit wirft Stefan Strauch wieder Tore für den Handball-Bundesligisten Stralsunder HV

STRALSUND taz ■ Wie ein warmer Sommerregen prasselt der Applaus auf ihn nieder. Stefan Strauch ist zurück. In seinem Spielzimmer, in seinem Element. Ein halbes Jahr hat er jenes Schauspiel, das ihm am liebsten ist, aus der Ferne verfolgen müssen. „Ich habe oft an meine Kollegen gedacht“, sagt er. Es sind Worte, die ihn in der heimeligen Hansestadt Stralsund zu einem kleinen König erhoben haben. Das spürt man, nicht nur auf der Tribüne, als Strauch den Handball-Bundesligisten Stralsunder HV nach langer Zeit wieder als Kapitän anführt. Der Deutsche Meister aus Lemgo stellt sich als Empfangskomitee zur Verfügung, mit 27:35 verliert Stralsund, doch das interessiert an diesem Abend außer den Lemgoern, die ihren dritten Tabellenplatz hinter Flensburg und Magdeburg verteidigen, niemanden.

Fünf Monate ist es her, als das Leben des Stefan Strauch, 29, eine Auszeit genommen hatte. Drei Tage vor dem Trainingsauftakt merkte er, dass etwas nicht stimmte. Er fühlte sich schwach. Wenige Stunden später lag er auf der Intensivstation. Langsam war das Unheil durch seinen Körper gekrochen. Am Ende des Tages konnte er nur noch seine Mundwinkel bewegen. Stefan Strauch war am Gullain-Barre-Syndrom erkrankt – einer schleichenden Lähmung.

Groß ist die Distanz zu den vergangenen Wochen. Nur vereinzelt schimmert das Glück des aufrechten Ganges durch, und die Freude, zurück zu sein in der Normalität. Schüchtern steht Stefan Strauch nach dem Spiel auf dem Parkett. Von allen Seiten nahen Gratulanten und Schulterklopfer, sie bedanken sich für die Leistung und das Durchhaltevermögen. Stefan Strauch nimmt das zur Kenntnis, nicht mehr und nicht weniger. Schweiß perlt ihm von der Stirn, es scheint, als seien die Gedanken in der Vergangenheit hängen geblieben.

Wie ein Außenstehender erzählt er seine Geschichte. Als hätte er sie im Fernsehen aufgeschnappt, oder in der Zeitung. „Es ist alles wieder wie früher“, behauptet er. Was soll er auch anderes sagen? Zwei Wochen hatte er auf der Intensivstation in der Rostocker Neurologie verbracht. Er hasste es, auf die Hilfe Fremder angewiesen zu sein und im Wartestand verharren zu müssen. Er hätte lieber einen Kreuzbandriss gehabt; eine alltägliche Verletzung, die sein Vorstellungsvermögen hätte akzeptieren können. Angst um sein Leben aber spürte er nicht. Trotz der vielen Reanimationsgeräte neben seinem Bett.

Langsam kehrten die Kräfte zurück, nachdem sein Blut gewaschen und von den Antikörpern befreit worden war. Nach fünf Wochen brauchte er keine Unterstützung mehr, um auf die Toilette zu gehen. Nach sechs Wochen konnte er wieder selbstständig seine Zähne putzen. Er hatte seine Intimsphäre zurück.

Es ist nicht verwunderlich, dass er seinen Platz noch nicht gefunden hat im Gefüge der Mannschaft. „Alles hat noch nicht geklappt“, sagt Stefan Strauch. Ein Tor erzielte er, der sanfte und respektvolle Applaus ging hernach in stürmischen Jubel über. „Ich hoffe, er wird wieder der Alte“, sagt Norbert Henke, der Trainer der Stralsunder. Er kann nicht glauben, dass er seinen „ersten Ansprechpartner im Team“ schon wieder auf dem Parkett begutachten darf. Sechs Stunden quälte sich Strauch täglich in der Rehabilitation. Er musste die grundmotorischen Fähigkeiten neu erlernen. Zehn Kilogramm seines Körpergewichts hatte er verloren, mittlerweile ist er wieder so schwer wie früher. „Hoffentlich geht das gut“, sagt Trainer Henke, „oft muss man ihn in seinem Tatendrang bremsen.“

Bleibt die Frage nach dem Warum. Stefan Strauch meint, dass ihm der Körper eine Schranke setzen wollte. Ein Aufruhr gegen die Strapazen des Leistungssports, den er seit zwölf Jahren betreibt. Ein bis zwei Menschen von 100.000 erkranken jährlich am Gullain-Barre-Syndrom. Innerhalb von fünf Monaten sei noch niemand genesen, sagen die Mediziner. Prompt war in den lokalen Medien von Wunderheilung die Rede. Stefan Strauch schüttelt den Kopf. Er ist ein rationaler Mensch, Wunder haben da keinen Platz. Wenn er das sagt, wird es wohl stimmen.

RONNY BLASCHKE