Scharfe Schüsse mit lautem Nachhall

Beschuss einer Demonstration linker Aktivisten löst in Israel heftige Debatten aus. Die Regierung spricht von einem legitimen Vorgehen gegen Kollaborateure von Selbstmordterroristen. Linke Abgeordnete befürchten neuen Auftrieb für Verweigerer

aus Jerusalem ANNE PONGER

Die scharfen Schüsse der Armee in eine Demonstration linker Aktivisten gegen die Trennanlagen am vergangenen Freitag haben einen politischen Sturm in Israel ausgelöst. Ein Israeli war dabei schwer, eine US-Touristin leicht verletzt worden. Die Armee hat eine Untersuchungskommission versprochen. Der parlamentarische Außen-und Sicherheitsausschuß wird sich diese Woche mit dem Vorfall beschäftigen.

Am Freitag mittag hatten sich 15 Protestler den Trennanlagen neben dem arabischen Dorf Bidija von palästinensischem Gebiet aus genähert. Einige Aktivisten hatten versucht, den Zaun zu durchschneiden. Eine zweite Gruppe von Palästinensern und Mitgliedern der „Internationalen Solidaritätsbewegung“ befand sich rund 30 Meter dahinter.

Nach Darstellung von Demonstranten und Fotografen folgten nach Warnschüssen in die Luft sofort Schüsse in die Protestgruppe. Die Armee hatte behauptet, sowohl Warnrufe per Lautsprecher als auch der Einsatz von Tränengas und Gummikugeln seien den scharfen Schüssen vorangegangen. Die Aktivisten seien nicht als Israelis erkennbar gewesen.

Armeesprecherin Ruth Jaron wies eine Unterscheidung zwischen unbewaffneten Palästinensern und Israelis bei Schusswaffeneinsatz zurück. In Radioaufnahmen sind Schreie („Schießt nicht, schießt nicht!“ auf Hebräisch) zu hören. Gil Naamati, der schwer verwundete Israeli, beteuerte, die Soldaten wären keinen Augenblick von Demonstranten bedroht worden. Zeugen berichteten, die Soldaten hätten sich zunächst geweigert, Notfallwagen zu rufen.

Vizeverteidigungsminister Seev Boim (Likud) hoffte, die armeeinterne Untersuchung werde die Legitimität der Schüsse feststellen, und Naamati wegen „Sabotage lebenswichtiger Schutzanlagen“ angeklagt. Likud-Minister Uzi Landau betonte, die Truppen seien „gegen Kollaborateure von Selbstmordterroristen“ vorgegangen. Der Sicherheitszaun müsse um jeden Preis verteidigt werden.

Linke Abgeordnete und Medienkommentatoren warfen indes schmerzhafte Fragen auf. Jossi Sarid (Meretz-Partei) warnte, illegitime Schießbefehle würden der Verweigererwelle Auftrieb geben. „Linke und Palästinenser sind leichte Beute für Verteidigungsminister Mofaz und Generalstabchef Jaalon“, sagte er. „Bewaffnete Siedler, die Soldaten physisch angriffen, sind noch nie angeschossen worden.“

Exgeneral Amram Mitzna (Arbeitspartei) beklagte die fortschreitende Entwertung des Begriffs „Reinheit der Waffen“, die die Moral der Armee aufweiche. Militärkommentatoren wiesen darauf hin, dass die gegen die Demonstranten eingesetzte Truppe gerade von einem Antiterroreinsatz in Ramallah kam und sich nicht auf eine Situation minderer Gewalt umstellen konnte. Man erinnerte daran, dass der Staatskontrolleur dieses Jahr den Mangel an Tränengas und Gummigeschossen bei der Armee kritisiert hatte. Da baldige Evakuierungen wilder Siedlungsaußenposten anstehen, muss die fortschreitende Politisierung der Armee Besorgnis auslösen.