Den Klassenkampf im Westen gelernt

Die PDS trifft Vorentscheidungen für einen Bundestagswahlkampf ohne Gregor Gysi: Bodo Ramelow, Hesse aus Thüringen, plant eine Kampagne mit konkreten Konzepten und Erinnerungen an die guten Seiten der DDR. An der Spitze sieht er sich selbst

AUS BERLIN ROBIN ALEXANDER

Kann ein Westdeutscher die PDS zurück in den Bundestag führen? Diese Frage klang bisher ähnlich drängend wie die, ob ein Protestant Papst werden kann. Jetzt stellt sie sich. Gestern ernannte der Parteivorstand Bodo Ramelow zum Bundeswahlkampfleiter. Ein wichtiger Schritt für den 56-jährigen Fraktionschef im thüringischen Landtag, der bei Bremen geboren wurde und in Hessen aufwuchs. Denn Ramelow will auch Spitzenkandidat werden – sollte Gregor Gysi, der sich zurzeit von einer schweren Operation erholt, absagen.

Bisher plante der Gysi-Vertraute André Brie alle wichtigen PDS-Wahlkämpfe. Ramelow steht nach eigener Aussage für „eine neue Art Wahlkampf“. Über Inhalte will der Vorstand eigentlich erst im Januar entscheiden. Doch schon jetzt ist klar: Ramelow steht für einen neuen PDS-Kurs: „Wähler gewinnt man nicht mit sozialistischen Visionen von übermorgen, sondern mit konkreten Reformen“, erklärt er seine Vorstellung.

Ramelow gibt in der Konferenz der ostdeutschen Fraktionsvorsitzenden den Ton an. Dieses Gremium, das es offiziell in der PDS gar nicht gibt, treibt seit gut zwei Jahren die inhaltliche Erneuerung voran. Die Protestpartei hat nicht nur eigene Vorstellungen in der Sozialpolitik formuliert, sondern auch erstmals ein en detail ausformuliertes Steuerkonzept vorgelegt. „Wir sind die einzige Partei in Deutschland, die sich nicht nur zu Steuersenkungen, sondern auch zu Steuereinnahmen bekennt“, erklärt Ramelow. Außerdem will Ramelow die Lohnnebenkosten über eine Bürgerversicherung senken („Brutto reduzieren und Netto erhöhen“) und sozialversicherungspflichtige Jobs in einem Non-Profit-Sektor schaffen.

Schon am Ohrstecker sieht man Ramelow an, dass er aus den westdeutschen neuen sozialen Bewegungen der 80er-Jahre stammt und nicht aus der Kleinbürgerpartei SED. Ein Karrierehindernis sei das im Osten nicht mehr, meint er: „Im Gegenteil: Ich kann viel offensiver Errungenschaften der DDR verteidigen als meine Ostgenossen.“ Mit der Parole: „Das Schulsystem der DDR minus Margot Honecker – darüber müssen wir nach Pisa reden“, bekommt er auf Marktplätzen in den neuen Ländern Beifall. Erst wenn man nachfragt, fügt Ramelow hinzu, dass er „selbstverständlich“ nicht nur die Volksbildungsministerin, sondern auch vormilitärische Ausbildung und ideologische Auslese für entbehrlich hält.

Die Unbekümmertheit, die Ramelow bisweilen gegenüber der Geschichte der DDR an den Tag zu legen scheint, überrascht: Als Kaufmannssohn und bekennender Christ hätte er gleich zu zwei Gruppen gehört, die in der DDR diskriminiert wurden. Aber Ramelow hat seine prägenden Konflikte nicht im Sozialismus, sondern in der „greifbaren Klassengesellschaft“ Bundesrepublik gemacht. Nach dem frühen Tod des Vaters lebte seine Mutter mit vier Kindern in Armut.

Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung ermöglichte ihrem leidenschaftlichen Aktivisten Ramelow eine Karriere und schickte ihn 1990 in den Osten. Dort, so erzählt er, habe er Pragmatismus gelernt, aber auch, dass Linke von der SPD nichts mehr zu erwarten hätten. Zur Bundestagswahl will er die PDS deshalb auch „eigenständig und nicht als Teil des rot-grünen Lagers“ führen.

Mit ihm als Spitzenkandidaten? An Gysi käme er nicht vorbei. Doch der verliert schon an Autorität. Während Gysi mahnte, eine Zusammenarbeit mit der westdeutschen Wahlalternative noch nicht auszuschließen, tut Ramelow genau das schon heute: „Wir streben weder Bündnisse noch Absprachen an. Sondern 2 Prozent im Westen für die PDS“.