Unternehmen: Abschied vom Flächentarifvertrag

Die Zeichen stehen auf Sturm. „Es wird Häuserkämpfe in den Betrieben geben“, gibt sich die designierte Chefin der IG Metall Küste, Jutta Blankau, kämpferisch. Der Grund für das verbale Säbelrasseln: Immer mehr metallverarbeitende Betriebe im Norden versuchen aus dem Flächentarifvertrag auszuscheren und die vertraglich festgelegte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten auf 40 oder 42 Stunden zu erhöhen. Ohne Lohnausgleich.

Solche „Abweichungen“ vom Tarifvertrag sind erlaubt, wenn die Sicherung von Arbeitsplätzen aufgrund der wirtschaftlichen Lage keinen anderen Weg offen lässt und beide Tarifparteien dem zustimmen. Doch darum geht es laut Blankau „in den wenigsten Fällen“. Denn längst stehen vor allem Betriebe – deren Geschäfte satte Gewinne produzieren – Schlange, wenn es darum geht, den gültigen Flächentarifvertrag auszuhebeln.

Die Liste der norddeutschen Unternehmen, die – zum Teil trotz prächtiger Profite – versuchen, die Renditen durch auf unbezahlte Mehrarbeit zielende Abweichungsanträge weiter aufzupolieren, ist lang: Siemens (Bremen, Kiel, Rostock), Phillips Semiconductors (Hamburg), Dräger (Lübeck) oder Caterpillar (Kiel).

Ein anderes der rund 45 Unternehmen, die aus den tariflichen Vereinbarungen versuchen auszuscheren, ist die Baltic Metall, eine Anfang des Jahres ausgegliederte Tochter des Zigarettenautomatenherstellers Hauni-Maschinenbau. Während die Konzernmutter schwarze Zahlen schreibt und die Auftragsbücher bis Ende 2005 so prall gefüllt sind, dass die Beschäftigten bis zu 180 Stunden pro Jahr Mehrarbeit leisten müssen, um die Aufträge termingerecht abzuarbeiten, wird die Neu-Tochter systematisch in der Verlustzone gehalten. Da Hauni einzige Abnehmerin der bei Baltic Metall gefertigten Automaten-Bauteile ist, kann die Konzern-Mutter Preise diktieren und damit bestimmen, ob Baltic Metalls Bücher Verluste oder Gewinne ausweisen.

Durch diese Unternehmensaufspaltung in Profit- und Non-Profit-Zentren gelingt es Hauni, bei Baltic Metall die formalen Voraussetzungen für die Aufweichung des Tarifvertrags zu schaffen. Um die „Abweichung“ durchzusetzen, werden die Beschäftigten systematisch unter Druck gesetzt. So nötigte die Firmenleitung des Bergedorfer Bauteileproduzenten die Arbeitnehmer, unter dem Titel „40 Stunden für sichere Arbeitsplätze“ an einer „Umfrage“ teilzunehmen.

Investitionen in Höhe von zehn Millionen Euro am Bergedorfer Standort, „eine langfristige Beschäftigungssicherung“ und „die Schaffung von 46 neuen Arbeitsplätzen“ wurde den Beschäftigten in Aussicht gestellt, wenn sie bereit seien, „in Zukunft 40 Stunden ohne Lohnausgleich zu arbeiten“. Im anderen Falle, so wurde im Betrieb gestreut, werde man statt in Bergedorf in Ungarn investieren.

Fast die Hälfte der 442 befragten Mitarbeiter verweigerte sich der Abstimmung. Doch von denen, die ihr Kreuzchen machten, stimmten rund 92 Prozent mit Ja. Mit diesem Ergebnis geht die Firmenleitung hausieren. Was sie als wichtiges „Signal“ preist, benennen die Vertreter des Betriebsrates als „Erpressung“ und „pure Angstmacherei“.

Doch der Druck wirkt. Der Geschäftsführung gelang es, Verhandlungen zu erzwingen. Die Tarifkommission ist benannt, und ab Januar sollen Arbeitnehmer und Geschäftsführung verhandeln. Dabei steht für Betriebsratschef Peter Gideon eine unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit nicht zur Debatte. Gideon: „Wenn es darum geht, die Arbeit zu effektivieren, müssen erst einmal die zahlreichen Organisationsschwächen bei Baltic Metall überwunden werden.“ MARCO CARINI