ermüdende debatten
: Gebt uns reformfrei!

Wenigstens ein paar Tage reformfrei hätten sich die Bundesbürger zu Weihnachten gewünscht. Schließlich atmeten selbst die erbittertsten Gegner des Schröder’schen Sparpakets auf, als das lange Hickhack kurz vor den Feiertagen endlich beendet war. Aber die Regierung kostet diesen Erfolg gar nicht aus. Nein, sie streut schon die nächsten Reformpläne unters Volk – ohne Sinn und Verstand, wie es scheint. Ob es um Witwenrenten geht oder um die Pflegeversicherung, die Botschaft ist immer gleich: Die ermüdenden Debatten um immer neue Kürzungspläne werden im neuen Jahr genauso weitergehen wie im alten. Von einem optimistischen Blick nach vorne keine Spur.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Wie ein ausgetrockneter Schwamm liegt die Reformdebatte zum Jahreswechsel in der Politlandschaft – und saugt begierig alles auf, was in der Zeit von Glühwein und Bratensoße an Neuigkeiten aus den Ministerien tröpfelt. Dabei sind die Reste der jüngsten Reformbeschlüsse noch gar nicht aufgewischt, wie die gerade aufgeflammte Debatte über Kassenbeiträge auf Betriebsrenten zeigt. Offenbar verbirgt sich in den vielen hundert Seiten der neuen Gesetze noch so einiges, was die Oberfläche des Reformpakets mit üblen Flecken verunstalten könnte.

Als großes Thema für das kommende Jahr haben die rot-grünen Koalitionäre die Familienpolitik auserkoren. Aber statt eine positive Diskussion über die Zukunft anzuzetteln, verstrickt sich die Regierung auch hier in eine heillose Abbaudebatte. Nicht über bessere Bedingungen für Kinder wird diskutiert, sondern über Strafmaßnahmen für all jene, die den Vorgaben der Familienpolitik nicht folgen wollen oder können. Muss man den Frauen, die keine Kinder bekommen, Jahrzehnte später mit Strafrenten zu Leibe rücken – wovon der Nachwuchs gar nichts hat? Ist es für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wirklich sinnvoll, wenn der Staat die Familien per Pflegegeldkürzung zwingen will, alte und kranke Menschen wieder rund um die Uhr zu Hause zu betreuen?

Der Bundespräsident hat der Regierung geraten, erst die beschlossenen Reformen zu gestalten, bevor sie schon über die nächsten Schritte debattiert. Gut möglich, dass sein frommer Wunsch am Ende in Erfüllung geht: Ein Wahljahr wie 2004 ist kein guter Zeitpunkt für neuerliche Kürzungen. Aber bis dahin ist die Politik umso mehr gezwungen, hektische Aktivität wenigstens vorzutäuschen.

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