Olympia-Bewerbung: Dabei sein war alles

taz-Jahresrückblick: Wie Nordrhein-Westfalen scheiterte und die Landesregierung zum schlechten Verlierer wurde

DÜSSELDORF taz ■ Die Nerven lagen blank und der Herr Abteilungsleiter lief rot an. „Sie sind doch für Hamburg, sie müssen aber für Düsseldorf Rhein-Ruhr sein“, raunzte Werner Stürmann vom NRW-Sportministerium einen kritischen Journalisten an. Der Aufruf zum Lokalpatriotismus wirkte verzweifelt. Es war Ende Januar, drei Monate vor der Entscheidung über den deutschen Olympiabewerber. Düsseldorf Rhein-Ruhr stellte ein Ökologie-Konzept vor und der Widerstand war groß. Die Anwohner konnten gar nichts anfangen mit dem Plan, eine Trabantenstadt für 15.000 Athleten in den Rheinauen zu errichten.

Das Olympiadorf wurde nicht gebaut, denn die Rhein-Ruhr-Bewerbung ist gescheitert. Mitte April entschied sich das Nationale Olympische Komitee (NOK) in München für den Bewerber Leipzig. Düsseldorf landete nur auf Rang drei – eine zweistellige Millionensumme war umsonst verpulvert worden. Fast wäre die farbenfrohe Bewerbung schon im ersten Wahlgang gescheitert. Die Verantwortlichen vom Rhein waren schlechte Verlierer. „Man hat uns schlecht behandelt“, meckerte Düsseldorfs OB Joachim Erwin (CDU). „Das war eine rein politische Entscheidung“, machte NRW-Sportminister Michael Vesper (Grüne) den Leipziger Erfolg madig. Erwin und Vesper – das waren die Vorturner einer von Anfang an glücklosen, substanzlosen und ideenarmen Bewerbung.

Dabei hatte Großdüsseldorf bis zum Schluss großspurige Siegessicherheit versprüht. „Wir haben das Beste, was es gibt“, sagte OB Joachim Erwin bei jeder Gelegenheit. Tage vor der NOK-Abstimmung ordnete der CDU-Politiker gemeinsam mit Vesper eine Großdemonstration an, die fast die Dimension der DDR-Sportfeste erreichte. Alle NRW-Schüler mussten für Olympia an Rhein und Ruhr auf die Straße gehen. Zwei Millionen aktive Sportler, 8.500 Sportvereine – die selbst ernannte „deutsche Metropole des Sports“ warb mit einer Mischung aus Größenwahn und Geizgeilheit. Denn mit einem frisierten Etat von 2,2 Milliarden Euro wollte Rhein-Ruhr die billigsten Spiele der jüngeren Olympiageschichte veranstalten.

Olympische Spiele waren ein alter Traum der nordrhein-westfälischen (Sport-)Politik. Bereits Mitte der 1960er Jahre hatte sich das Ruhrgebiet beworben, zog dann aber zugunsten der erfolgreichen Münchner Kandidatur für 1972 zurück. 1990 kam die Idee im Revier wieder auf, doch die vereinte Hauptstadt bekam den deutschen Zuschlag. Ein Jahrzehnt nach dem Scheitern Berlins auf internationaler Ebene beschloss die NRW-Regierung einen erneuten Anlauf. Da das IOC nur Städte, nicht aber Regionen als Olympiakandidaten akzeptiert, mussten sich die Nachbarn im Ruhrgebiet auf einen Fahnenträger einigen. Nach monatelangem Streit verkündete Sportminister Vesper 2001 mit Düsseldorf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Leidenschaftslos ließen sich alle Großstädte der Region in die Kandidatur der NRW-Landeshauptstadt einbinden.

Unter dem Motto „So bunt wie die Welt“ warb Düsseldorf/Rhein-Ruhr von Anfang an mit dem Pathos einer Metropolenregion. In der Realität aber erwies sich Oberbürgermeister Erwin als beschränkter Lokalpolitiker. Auf die Niederlage Düsseldorfs bei der Vergabe der Austragungsorte für die Fußball-WM 2006 reagierte Erwin mit kruden Verschwörungstheorien und Schimpftiraden gegen den DFB. Während seine Stadt 2012 die Jugend der Welt beherbergen will, versuchte der Rathauschef im Frühjahr 2002, eine Gruppe Sinti und Roma aus Düsseldorf wegzumobben. Demonstrationen der Flüchtlinge aus Exjugoslawien wurden vom OB gesprengt, die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen Erwin wegen schwerer Nötigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Um die Konkurrenten auszustechen, wurden aus dem Umfeld der Düsseldorfer Olympia GmbH peinliche Gefälligkeitsgutachten lanciert.

Nur 73 Prozent der Menschen an Rhein und Ruhr wollten die Spiele – das war die geringste Zustimmung unter den fünf deutschen Bewerberstädten. Massiven Widerstand erregten die Planungen für das olympische Dorf in den Düsseldorfer Rheinauen. Landwirte und Anwohner protestierten vor dem Frankfurter NOK-Gebäude gegen die Trabantenstadt in der Flusslandschaft. Sportminister Vesper hatte jegliche Diskussion über den Standort für das Olympiadorf abgelehnt. Ein einziges Mal traf er sich mit den Olympiagegnern, um diese „arrogant und autoritär“ herunterzuputzen, wie sich Teilnehmer des Treffens erinnern. Am Ende verlor der Sportminister mehr und mehr die Nerven. Vesper schrie den Vorsitzenden der Düsseldorfer Bürgerinitiative gegen das Olympiadorf am Telefon so zusammen, dass dieser aus gesundheitlichen Gründen sein Amt niederlegte. Trotzdem gewannen am Ende die Olympiagegner, und der Minister gibt seitdem den schlechten Verlierer. Bei jeder Gelegenheit spiesst er genüsslich Pannen der Leipziger Bewerbung auf. Manchmal trägt Vesper noch immer den Pin mit dem Olympia-Logo am Revers. Der Mann hat diese Niederlage bis heute nicht verdaut. MARTIN TEIGELER