Stockholmer Lügengebäude bricht zusammen

Mit Billigung der damaligen schwedischen Außenministerin Anna Lindh wurden zwei Ägypter in ihre Heimat abgeschoben und dort gefoltert. Lindh war informiert, belog aber das Parlament und die UN-Folterkommission

STOCKHOLM taz ■ Vor drei Wochen muss ein tiefes Aufatmen durch die Regierungszentrale in Stockholm gegangen sein. Das UN-Komitee gegen Folter hatte es aus Zeitgründen nicht geschafft, sich auf seiner 33. Sitzung in Genf mit den beiden ägyptischen Asylsuchenden zu befassen, die Schweden in ihre Heimat abgeschoben hatte.

Ahmed Agiza und Mohammad al-Zery waren in einer Blitzaktion am 18. Dezember 2001 verhaftet und zum Stockholmer Flughafen gebracht worden. Dort übergab man sie sechs bis acht maskierten US-Agenten. In einer Toilette wurden Agiza und al-Zery gewaltsam Stuhlzäpfchen in den After eingeführt und Windeln umgebunden. Mit einer Dreieckshaube über dem Kopf führte man sie zu einem Flugzeug, wo sie in Ledergeschirren festgegurtet wurden. Um 21.49 Uhr startete der Jet vom Typ Gulfstream 5 mit der Registriernummer N379P nach Kairo.

Bereits im Mai hatten schwedische TV-Journalisten recherchiert, dass das Flugzeug offenbar regelmäßig zu ähnlichen Transporten verwendet worden war. Die britische Sunday Times berichtete von mindestens 49 „Terroristentransporten“ der N379P in Zielstaaten wie Libyen, Jordanien, Syrien und Ägypten. „Special Access Program“ (SAP) heißt laut dem neuesten Buch des US-Journalisten Seymour Hersh das Kommando: 200 Personen mit dem Mandat, zu kidnappen, zu foltern und zu töten.

Agiza und al-Zery waren 1999 bzw. 2000 mit ihren Familien als Asylsuchende nach Schweden gekommen. Beide waren in Ägypten 1998 in Abwesenheit wegen angeblicher Terrorakte zu 24 bzw. 26 Jahren Haft verurteilt worden. Die Anwälte von Agiza und al-Zery wurden erst zwei Tage nach der Abschiebung unterrichtet, die Schwedens Regierung abgesegnet hatte. Politisch verantwortlich: Die damalige Außenministerin Anna Lindh.

In ägyptischen Gefängnissen wurden beide nach Erkenntnissen von „Human Rights Watch“ und Berichten von Angehörigen sowie ägyptischen Rechtsanwälten gefoltert. Al-Zery wurde 2003 freigelassen und soll weiter unter Polizeiüberwachung stehen.

Wegen angeblicher Al-Qaida-Mitgliedschaft wurde Agiza zu lebenslanger Haft verurteilt, die auf 15 Jahre reduziert wurde. Bei Besuchen schwedischer Diplomaten im ägyptischen Gefängnis berichteten beide von Folter und Misshandlung. Die Protokolle wurden nach Stockholm geschickt und sind öffentlich. Wider besseres Wissen wurde 2002 und 2003 dem UN-Antifolterkomitee und dem schwedischen Parlament mitgeteilt, es gebe keine Hinweise, dass Agiza und al-Zery in ägyptischer Haft „schlecht behandelt“ würden. Verantwortlich: Anna Lindh.

Neben der Sorge um den eigenen Ruf veranlasste offenbar auch die Rücksicht auf das Gedenken an die ermordete Außenministerin Stockholm, Falschinformationen zu verbreiten oder die Wahrheit nur häppchenweise zuzugeben. Das findet Anna Wigenmark vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte „beklemmend“. Stockholm müsse verstehen, dass es darum gehe, ein Zeichen zu setzen, damit andere Staaten nicht ähnlich handelten, wenn das Pentagon bei ihnen anklopfe. REINHARD WOLFF

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