Kardinal Meisner beim Papstcasting chancenlos

Die Kölner „Stunksitzung“ startet ihr 20. Programm. Sie nimmt sich Politiker, Kirchenmänner und die närrische Konkurrenz vor. Bis Sessionsende stehen die Karnevalisten 45 Mal auf der Bühne und liefern eine perfekte Mischung aus Karneval, Kabarett, Klamauk und schmissiger Musik zum Mitsingen

VON JÜRGEN SCHÖN

Sie kommen auf die Bühne gehumpelt, halten sich am Gehgestell fest oder lassen sich gleich im Rollstuhl auf die Bühne schieben. Doch wenn die „Arthritischen Sechs“ loslegen, geht die karnevalistische Hip-Hop-Party ab: Das närrische Publikum im Kölner E-Werk steht auf den Bänken, klatscht und singt mit. Die „Stunksitzung“ blickt in die eigene Zukunft und zeigt sich im 20. Jahr ihres Bestehens alles andere als alt. So frisch und frech waren die Stunker schon lange nicht mehr. Vom Premierenpublikum gab‘s deshalb am Sonntag auch den verdienten langen Beifall.

Politisch haben die Karnevalisten nach einem Durchhänger in den letzten Jahren ebenfalls zugelegt. Da wird die Auseinandersetzung zwischen Scharon und Arafat auf das Niveau zweier Asis in einer Talkshow heruntergezogen, zu denen sich schließlich auch noch George W. Bush gesellt – einig sind sich die drei nur, sobald es gegen Frauen geht. In einem anderen Sketch hat Kardinal Meisner trotz geifernder „Ausschwitz“-Rede beim Papst-Casting keine Chance gegen Sieger Dieter Bohlen. Und das Festkomitee Kölner Karneval verleast den Rosenmontagszug an einen US-Investor. Der wird daraufhin zum „Rose Monday Train“, der Ku-Klux-Klan marschiert als „uraltes Traditionskorps“ mit und alle Wagen sind bewaffnet.

Dass am Ende Düsseldorf dran glauben muss, gehört ebenso zum Standardrepertoire wie die Umsetzung politischen Geschehens in ein Märchen. Diesmal wandern Gerd und Joschka wie weiland Max und Moritz in die Mühle und Saddam, der Mann aus der Souterrain-Wohnung, entschwindet als Stargast der Muppet-Show per Rakete. Ob danach allerdings die närrische Anarchie ausbricht, wie die Puppennörgler Statler und Waldorf hoffen, ist fraglich.

Köstlich verquer ist die Nummer, in der Ozhan Akhan den Stadtteil Mülheim zum „türkischen Lebensraum im Osten“ erklärt, in dem die karnevalistischen Stunker, Medienfuzzis und WDR-„Anrheiner“ nichts zu suchen haben: „Dat Müllemer Bötchen is voll!“. Seitenhiebe gegen das Festkomitee Kölner Karneval, dessen Präsidenten und das Dreigestirn sind eine traditionelle Selbstverständlichkeit, und dass Lieblingsfeindin Marieluise Nikuta in diesem Jahr kein Mottolied geschrieben hat, macht nichts: Die Stunker haben wieder ein eigenes parat – gemischt aus einem Mathe-Curriculum, einer Gasheizung-Gebrauchsanleitung, Elisabeth-von-Bingen-Texten- und Ostermannliedern.

Auch für nah am Wasser gebaute Gemüter ist wieder was dabei. In der Romanze zwischen einer männerlosen Närrin und einem Kellner darf sich Günter Ottemeier auch noch als rasanter Verkleidungskünstler beweisen. Dem Umziehstress muss bisweilen auch eine atemlose Sitzungspräsidentin Biggi Wanninger Tribut zollen, die wieder einmal als Engelchen Trude Herr überzeugt.

Trotz vieler lokaler Spitzen gegen die kölschen „Sackjesichter“ ist das 4-Stunden-Programm auch für Auswärtige ein Vergnügen. Für Begeisterung sorgen traditionell die mitreißende Musik von Köbes Underground, die farbenprächtige, phantasievolle Ausstattung und perfekte Choreografien, dazu eine perfekte Mischung aus Karneval, Kabarett, Klamauk, ein bisschen Zoten und Show.

Zu loben sind außerdem die – im Vergleich zu anderen Karnevalssitzungen – zivilen Verzehrpreise. Allerdings ist das Sitzen etwas unbequemer als in den Vorjahren: Aufgrund von Sicherheitsvorschriften müssen die „Biergarnituren“, also zwei Bänke und ein Tisch, neuerdings fest verbunden sein. Das kann für manche dann recht eng werden. Offiziell sind alle 45 Sitzungen bis zum frühen Ende der kurzen Session 2003/04 schon ausverkauft. Doch soll es Menschen geben, die ihre Karten kurzfristig an der Abendkasse zurückgeben.