Hungerkur am langen Arm

Ver.di wirft dem Senat und seinen Vorgängern vor, bei den Bezirksverwaltungen überproportional gespart zu haben: Konzeptionslose Umstrukturierungen, kein Controlling. Politik bricht Versprechen gegenüber Mitarbeitern

von GERNOT KNÖDLER

Der Senat führt Tempo 60 ein – aber die Bezirke haben kein Geld, entsprechende Schilder zu kaufen. Der Senat will für weniger Schlaglöcher sorgen – aber die zuständigen Bezirke haben so wenig Personal, dass sie das dafür vorgesehene Geld der Bundesregierung nicht ausgeben können. Die Liste der Absurditäten, die der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) über ihre Mitglieder in den Bezirksverwaltungen zu Ohren gekommen sind, könnten Fachbereichsleiterin Sieglinde Friess und ihre Kollegen endlos fortsetzen. An den Sparbemühungen des Schwarz-Gelb-Schill-Senats und seiner roten und rot-grünenVorgänger sei festzustellen, „dass man da, wo es am entferntesten ist, zugreift“, bilanziert Friess, und das seien die Bezirke.

Kurz vor der heute vorgesehenen Selbstauflösung der Bürgerschaft versuchte die Gewerkschaft den Parteien in Erinnerung zu rufen, dass sie versprochen haben, die Bezirke zu stärken. Das Gegenteil hätten sie getan, findet ver.di. Seit 1995 seien in den sieben Bezirksämtern 5.000 von 12.000 Stellen abgebaut worden, rechnet Hans-Jürgen Meyer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Personalräte, vor – um 40 Prozent. Die gesamte Verwaltung dagegen sei bloß um 20 Prozent – von 80.000 auf 60.000 Stellen – verkleinert worden.

„Dass die Bezirke einen überproportionalen Sparbeitrag zu leisten hatten, war bei jeder Regierung so“, bemängelt Meyer. Dabei seien ihre Aufgaben gewachsen. In der Bauprüfabteilung eines Bezirks gebe es wegen der vielen Arbeit eine interne Anweisung, nicht mehr so genau hinzusehen wie früher.

Ver.di wirft dem Senat vor, dass er am grünen Tisch in Jesteburg Sparbeschlüsse getroffen habe, ohne sich darum zu kümmern, wie diese umgesetzt werden könnten. Ein Beispiel dafür sei die Zusammenlegung der Kataster- und Vermessungsämter. Hier seien mit den Beschäftigten Ortskenntnisse verloren gegangen und der Service für die Bürger verschlechtert worden. Die Schuldnerberatung sei privatisiert worden, ohne dass eine Erfolgskontrolle installiert worden wäre. Bei der Wohnungslosenhilfe sei, bevor diese Aufgabe an die Bezirke übergegangen sei, das Personal halbiert worden.

Die Gewerkschafter ärgert auch die Art, wie der Senat Veränderungen durchsetzte. So hätten die Tiefbau-, Grün- und Friedhofsämter der Bezirke die Chance erhalten, vier Millionen Euro zu sparen, um der Zusammenfassung zu einem Landesbetrieb zu entgehen, berichtet Jörg Schwerin, Vertreter der Arbeiter im Bezirksamt Mitte. „Jetzt hört man, dass 2006 auf jeden Fall ein Landesbetrieb gegründet werden soll“, wundert er sich.

Bei einem künftigen rot-grünen Senat rechnet Friess mit einer „klimatisch anderen Herangehensweise“, auch wenn dieser die Sparpolitik wohl ähnlich fortführen würde. Insgesamt müsse ein künftiger Senat stärker die Frage der Einnahmen und deren Verteilung in den Blick nehmen, sowie unter den staatlich-kommunalen Aufgaben ausmisten, so Friess.