Ein Fisch namens Finte

Ein seltenes und EU-geschütztes Wesen treibt zwei Wochen im Jahr in der Wesermündung mit der Tide auf und ab und stellt sich so von Salz- auf Süßwasser um. Doch ausgerechnet da, wo die Finte schwimmt, soll das neue Containerterminal gebaut werden

Bremen taz ■ „Ein ungewöhnlicher Fisch“ sei die Finte, sagt Michael Schirmer. Der Mann kennt sich aus, er ist Biologe an der Universität Bremen. Als solcher leitete der Professor vor einigen Wochen einen Workshop, der sich eigens wegen dieses Wesens aus der Familie der Heringe zusammengetan hatte. Die Finte könnte nämlich ein Problem werden. Oder selber eins bekommen. Denn wenn das neue Container-terminal IV in Bremerhaven gebaut wird, wird es laut. Möglicherweise zu laut für die Finte, die zwischen den 60ern und 80ern fast ausgestorben schien, inzwischen aber, so Biologe Schirmer, wieder „im Kommen“ sei. Das Fischlein lebt an der Nordsee- und der französischen Atlantikküste und gilt immer noch als sehr gefährdet. Die Finte steht im Katalog der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU – diese Richtlinie müssen die Erbauer vom CT IV berücksichtigen.

Die Finte – ein neuer Schlammpeitzger? Der Schlammpeitzger war es, der das Hollerland FFH-würdig und das politische Bremen genau deshalb einst in Rage brachte. „Nein, ein neuer Schlammpeitzger ist die Finte nicht“, so Martin Rode vom BUND. Aber ein „EU-weit bedeutsames Tier“, um das sich laut Rode die BremenPorts in ihren umfänglichen Anträgen zum CT-IV-Bau nicht die Bohne geschert habe. Der Finten-Workshop war jetzt der erste Schritt, daran etwas zu ändern.

Alosa falax, so der akademische Titel des bis zu 40 Zentimeter großen Fisches, lebt im Salzwasser und nur zur Fortpflanzung zieht er ins Süßwasser. Weil dazu eine komplizierte Umstellung fischlicher Organe notwendig ist, muss das Tier eine gewisse Zeit im so genannten Brackwasser bleiben – kein Dreckwasser, sondern ein Gemisch von Salz- und Süßwasser. Hier wandert Alosa falax mit den Gezeiten hin und her und treibt so peu à peu immer weiter in die Weser, während sich ihre Organe umstellen. „Ein Prozess, der dem Fisch viel abverlangt“, so Biologe Schirmer, „eine sehr stressige Situation, weil die Tiere eine physiologisch große Aufgabe zu bewältigen haben.“

Dabei könnte der Bau von CT IV empfindlich stören. „Könnte“, weil es noch keine Erkenntnisse darüber gibt, wie viele Finten wann genau sich vor Bremerhaven treiben lassen. Aber dass das FFH-Tier, genau wie das ebenso schützenswerte Neunauge, gestört würde, darüber besteht kein Zweifel.

Drei Möglichkeiten gibt es nun, die Finten zu schützen. Zum einen könnten die Spundwände, statt schlagweise in den Boden gehämmert, auch etwas sanfter in den Grund gerüttelt werden. „Aber was machen Sie, wenn Sie da auf Widerstand stoßen?“, fragt Schirmer, der den Workshop zwischen Fachleuten aus dem Umwelt-, dem Hafenressort und von BremenPorts einerseits sowie Fisch-Biologen andererseits geleitet hat. Da werde dann doch gehämmert werden müssen.

Eine weitere Art des Schutzes könnte ein schalldämmender Vorhang aus Luftblasen um die Baustelle herum sein. Die dritte und vom Biologen Schirmer offenkundig favorisierte Möglichkeit ist, erst mal herauszufinden, wann genau sich Fintenschwärme im kritischen Bereich aufhalten und die Rammarbeiten genau dann zu vermeiden. Noch steht die weitere Finten-Marschroute beim CT IV nicht fest, bis zum 9. Januar muss die obere Naturschutzbehörde ihre Stellungnahme abgeben.

Michael Schirmer wird in diesem Frühjahr auf jeden Fall den Finten zusehen, wenn nicht vor Bremerhaven, an anderer Stelle. Denn wenn Alosa falax aufs Süßwasser eingestellt ist, schwimmt sie zum Laichen die Weser hoch, und zwischen Brake und Bremen schreitet sie zur Fortpflanzung. Wenn die Finte sich mehrt, sei das, so Fintenfachmann Schirmer, „ein sehr lautes Geschehen, ein Spaddeln und Sprudeln und Springen“ direkt unter der Wasseroberfläche, das Ohrenzeugen als „lautes Schraubengeräusch“, noch dazu „meilenweit“ zu hören, beschreiben.

Schirmer selbst hat die Finten noch nicht spraddeln und sprudeln gehört, aber er hat einige Weserfischer befragt. Im Frühjahr wird er sich selbst aufmachen, um Alosa falax bei ihren Balztänzen zu belauschen. Denn nicht nur CT IV ist ein Problem für die Finte, sondern auch der Wesertunnel bei Brake. Der nämlich könnte den Laich der Finten bedrohen, wenn er auf den Wesergrund sinkt, bis dann die kleinen Babyfinten im Herbst aufs offene Meer hinausschwimmen. Im Auftrag der Tunnelbau-Gesellschaft wird Michael Schirmer dann versuchen herauszufinden, ob der Wesertunnel just unter einem zentralen Fintenlaichplatz geplant wird.

Susanne Gieffers