ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über Studentenproteste

Die deutschen Unis erinnern mich an den veralteten und vor Jahren verstorbenen Lada meines Freundes Sascha

Ich habe in den Staaten studiert, an der Northwestern University, einer von diesen sagenumwobenen überteuren Spitzenunis. Das war kein Rolls Royce der Bildung wie Harvard, eher ein Mercedes, aber trotzdem: Die Studienbedingungen waren nicht nur gut, sondern außerhalb der Reichweite der normalen deutschen Studentenvorstellungskraft. Die Professoren, von denen es eine Schar gab, waren führend auf ihren Fachgebieten. Eine noch größere Schar Tutoren war jederzeit bereit, den Fachjargon der Profs für die Studierenden verständlich zu machen. Und die Bibliothek war 24 Stunden am Tag geöffnet. Man konnte darin leben und so Miete sparen, was viele auch getan haben.

Unglücklicherweise kam es aber dadurch immer wieder zu peinlichen Fällen, wenn Studierende ertappt wurden, als sie eine kleine Pause mit dem/der PartnerIn genommen hatten, um sich mit einer gemeinsamen körperlichen Tätigkeit sexueller Art zu entspannen. Über solche Vorfälle wurde dann unter lautem Kichern diskutiert, immer mit dem halbwegs ernst gemeinten Kommentar: Wieso sollten wir in der Bibli nicht ficken können, ist ja doch nur natürlich. Offene Liebe im offenen Magazin!

Dafür gestreikt haben wir allerdings nie. Erstens haben unsere Eltern pro Semester um die 10.000 Dollar bezahlt, also wäre ein Streik eine ziemliche Ohrfeige für Mom and Dad gewesen. Zweitens waren wir mit dem Lernen viel zu beschäftigt. Und drittens war die Forderung, nüchtern betrachtet, idiotisch, was wir auch einsahen.

Die jetzigen Forderungen der hiesigen Studis sind aber alles andere als idiotisch. Ich habe in den letzten zehn Jahren die Möglichkeit gehabt, an drei deutsche Unis je mindestens ein Semester zu studieren: in Hamburg, Bonn und an der FU in Berlin. Diese Tour durch die Hochschulandschaft hat mir gezeigt, wie nötig der Studentenprotest ist.

Denn die Lage der deutschen Universitäten ist, mit den Augen eines Ausländers betrachtet, geradezu absurd. Man hockt in einem überfüllten Saal, sieht zu, wie der Professor sich wie ein kleiner Gott aufführt, und horcht auf die Geräusche eines langsam in sich zusammenfallendes Baus. Ich habe erlebt, wie defekte Heizkörper während einer Veranstaltung geplatzt sind. Und ich habe Profs gehabt, die alles außer Waffengewalt eingesetzt haben, um Studis von ihren Seminaren abzuschrecken, damit die Zahl der Teilnehmer nicht über fünfzig steigt.

Zur besseren Info für all die Leute, die irgendwann während der Schmidt-Regierung ihren Abschluss gemacht haben und nicht verstehen, wieso die Studis heute protestieren, wo sie es doch so gut haben, sei noch hinzugefügt: Sie streiken, weil sie ihr Ziel, das Lernen, nicht mehr erreichen können. Und da soll noch weiter gespart werden.

Ich möchte auf keinen Fall für eine Übernahme des amerikanischen Systems plädieren. Zwar ist das weitaus weniger elitär, als die meisten Deutschen glauben. So hatte ich viele arme Freunde an der Northwestern, denen es durch Stipendien und Kredite ermöglicht wurde, sich am Bildungsbüfett voll zu fressen. Aber ganz fair verteilt wurden die Sitze im Mercedes nicht, denn die meisten Plätze gingen schon an Kinder Wohlhabender.

Die deutsche Uni erinnert mich, metaphorisch gesehen, an den veralteten und vor Jahren verstorbenen Lada meines Freundes Sascha. Das Ding war marode und hatte wenig Zukunftsperspektiven. Daher gab Sascha nie Geld aus, um das Teil wieder ins Lot zu bringen. Er dachte sich: Es wird im nächsten Jahr nur noch teurere Reperaturen brauchen. Also hat er gelegentlich einen Sanierungswunsch geäußert und anschließend das Radio so laut aufgedreht, dass man die beunruhigenden Knallgeräusche aus dem Motor gar nicht hörte.

Genau so verhalten sich die Machthabenden in Deutschland: Man möchte zwar gerne irgendwann etwas für die Uni tun, ist aber in der Lada-Mentalität festgeklemmt. Das Einzige, was etwa dem Berliner Senat noch einfällt, ist Kürzen. Aber dem geparkten Lada in der Nacht auch noch die Reifen klauen hilft nichts.