Die Multikulti-Spitzenkicker

Türkiyemspor – schon ein Vierteljahrhundert lang kickt in Kreuzberg die erfolgreichste türkische Elf außerhalb der Türkei. Obwohl gelobtes Integrationsprojekt, bleibt selbst der Rasenplatz versagt

von CEM SEY

Die warme Luft, die aus der Eingangstür der Sporthalle am Weddinger Luise-Schröder-Platz strömt, trägt den beißenden Geruch gebratener türkischer Würstchen ins Freie. Türkische Männer mit Schlips und Jackett stehen in der engen Vorhalle herum. Sie sind die Zuschauer eines Hallenfußballturniers der Berliner türkischen Mannschaften. Drinnen in der Halle kämpfen an diesem vorletzten Sonntag im Jahr junge Männer in roten Trikots um den Ball. Sie kicken für Türkiyemspor – die erfolgreichste türkische Mannschaft außerhalb der Türkei.

Noch einige wenige Tage feiert Türkiyemspor sein 25. Jubiläum. Nicht wie in orientalischen Märchen 40 Tage und Nächte – nein, schlimmer noch, hatte der Clubvorstand nämlich beschlossen ganz 2003 durch zu feiern.

Bei der Gründung 1978, hieß der Verein noch BFC Izmirspor, wie die westanatolische Stadt Izmir. Um allen türkischen Migranten in Berlin ein Heimatgefühl geben zu können, wurde der Verein ein Jahrzehnt später umbenannt: Türkiyem, was „meine Türkei“ bedeutet. Eine mutige politische Entscheidung, angesichts der ethnischen Konflikte die sich damals in der Heimat zwischen Türken und Kurden entwickelten.

Bei Türkiyemspor jagte ein Erfolg den nächsten: Die Berliner Mannschaft stieg innerhalb vier Jahren von der C-Liga in die Oberliga auf. Anfang der 90er-Jahre stand die Multikulti-Mannschaft mit englischen, jugoslawischen und türkischen Migranten schon kurz vor dem Aufstieg in die zweite Bundesliga. Das brachte selbst den DFB in Schwierigkeiten.

Denn so viele ausländische Kicker waren in einer „deutschen“ Mannschaft bis dahin nicht vorgesehen. Die deutsche Fußballbürokratie handelte: Die deutsche Sprache wurde um den Begriff des „Fußballdeutschen“ erweitert. Der besagte, dass Kicker mit ausländischem Pass, die sechs Jahre in einer deutschen Jugendmannschaft gespielt haben, den Status eines deutschen Fußballers genießen.

Dieser fortschrittliche Entschluss wurde auch nicht rückgängig gemacht, als die Elf von Türkiyemspor den Aufstieg knapp verpasste. Längst war der Kreuzberger Club zum Ziel tausender junger Berliner Türken geworden. Mit dem plötzlich einsetzenden Erfolg stürmten türkische Kids den Verein. Der war darauf zwar keineswegs vorbereitet. Deshalb kicken heute zahllose junge türkische Männer nicht nur bei Türkiyemspor, sondern auch bei anderen Fußballvereinen, darunter auch deutschen. „Sie suchen Anerkennung durch sportliche Erfolge“, sagt Mete Sener, der Geschäftsführer des Clubs.

Im 25. Jahr des Vereins trainieren über 300 Jugendliche in 12 Jugendmannschaften. Der Verein an sich wurde längst zu einem riesigen Integrationsprojekt. Mete Sener glaubt, dass Türkiyemspor allein hunderte von Jugendliche von der Straße holt und ihnen neue Perspektiven gibt.

An diesem vorletztem Sonntag aber sind die Anhänger Türkiyemspors enttäuscht. Ihre Elf, zusammengestellt aus verschiedenen Mannschaften des Vereins, ist bereits in der ersten Runde ausgeschieden.

Aber das Team ist an Misserfolge durchaus gewöhnt. Obwohl die Kinder der ehemaligen Gastarbeiter die erfolgreichste Kreuzberger Fußballmannschaft bilden, wird ihnen im Bezirk das Training auf einem Rasenplatz verweigert. Nicht einmal im Stadion in der Katzbachstraße, ihrem Heimatplatz, dürfen sie trainieren. Der Grund: Das Sportamt Kreuzberg fürchtet, dass der Rasen kaputt geht. „Es hilft auch nicht, dass Bezirksbürgermeisterin Cornalia Reinauer uns unterstützt. Dort ist sie einfach machtlos“, meint der Geschäftsmann Sener. „Wir sind die einzige Mannschaft, die in Deutschland in der Oberliga spielt, aber nicht auf einem Rasenplatz trainieren darf.“

Deshalb geht Mannschaftstrainer Wolfgang Sandhowe türkisch vor. An Trainingstagen ruft er andere Sportplätze in Berlin an und sucht nach einem freien Rasenplatz. Ein kleines Bakschisch hilft oft nach. Manchmal müssen die Kreuzberger zum Training aber einfach zum nächsten öffentlichen Park schlendern. Trotzdem, fremd gehen sie nicht. Ein Angebot des Sportamtes Spandau, eine Mannschaft des Bezirks im äußersten Westen der Stadt zu werden, haben sie dankend abgelehnt.

Auch finanzielle Schwierigkeiten drücken den Verein. Obwohl die Vorstandsmitglieder ehrenamtlich arbeiten und die Betreuer und Trainer sich mit symbolischen Aufwandsentschädigungen zufrieden geben, sind die 15 Mannschaften ohne Sponsoring nicht zu finanzieren. Deutsche Sponsoren seien schwer von der Einwanderermannschaft zu überzeugen, und türkischen Unternehmen sei mit der Wirtschaftsflaute die Luft ausgegangen.

Auch das multikulturelle Miteinander hat seine Schattenseiten. „Unsere Spieler spielen den saubersten Fußball, trotzdem sind wir auf der Fairnessliste auf dem letzten Platz“, beklagt sich Sener und äußert Unmut über die Schiedsrichter: „Vor allem im Osten spielen wir meistens gegen zwölf.“ Es hört sich nach Fremdenfeindlichkeit an, aber Sener weicht aus: „Man muss den Vorsitzenden des Berliner Fußballclubs auszeichnen. Otto Höhne ist der größte Unterstützer der Migrantenkinder!“

Dann redet Sener von Fußballerkarrieren, die zu Ende gehen, wie von einer unsichtbaren Hand gestoppt. „Es gibt sehr viele türkische Jugendliche, die es bis in die deutsche Auswahlmannschaft schaffen. Sie kommen aber selten weiter.“

Der 24-jährige Aykut Karan bestätigt dies. Er ist der Sohn des im letzten Jahr verstorbenen Türkiyemspor-Trainers Süleyman Karan. Aykut Karan kickt seit dem 4. Lebensjahr, natürlich später auch bei Türkiyemspor. Heute verdient er seinen Lebensunterhalt mit der Vermittlung türkischer Fußballer. Sein Bruder Ümit spielt beim weltweit bekannten Galatasaray – auch er ein ehemaliger Torjäger von Türkiyemspor. Karan kritisiert die Kurzatmigkeit der türkischstämmigen Fußballer: „Sobald sie hier bei den Amateuren Erfolg haben, werden sie ungeduldig, gehen in die Türkei. Von dort schaffen sie es aber nicht mehr zu einer deutschen Mannschaft zurück.“

Mete Sener selbst träumt von einem Freizeitheim für Jugendliche mit Nachhilfeunterricht und von Frauenfußball. „Tja“, sagt Sener, „auch die Mädels melden Bedarf an!“