Eine natürlich rein fiktive Handreichung

Sozialhilfeempfänger müssen sich ab 1. Januar bei einer Krankenkasse versichern. Das passt den Kassen gar nicht. Die Barmer wollte potenzielle Neukunden mit einer ausschließlichen Beratung im 300 Kilometer entfernten Zwickau verschrecken. Das war ein viel zu auffälliger Versuch mit der Hammermethode. Dabei geht es auch wesentlich subtiler

von STEFAN ALBERTI
und RICHARD ROTHER

Liebe Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Sozialhilfeempfänger sind, drücken wir es so aus, nicht die Zielgruppe unserer Krankenkasse. Da sie überdurchschnittlich oft krank werden, verursachen sie höhere Verwaltungskosten als andere Versicherte (die Behandlungskosten übernimmt nach wie vor das Sozialamt). Um einen angemessenen Umgang mit Sozialhilfeempfängern zu gewährleisten, die sich um eine Mitgliedschaft bei uns bewerben, möchten wir Ihnen als Sachbearbeiter im Folgenden einige Handlungsoptionen vorstellen. Bleiben Sie in jedem Fall freundlich und zuvorkommend (wir sind schließlich gesetzlich verpflichtet, jeden aufzunehmen).

1. Kaffee anbieten

Sollten Sie festgestellt haben, dass ein Sozialhilfe-Empfänger vor Ihnen sitzt, bieten Sie ihm ruhig einen Kaffee an. Dieser lässt sich gegebenenfalls magenschonend verdünnen, auch mit kühlem Wasser. Milch und Zucker bitte nicht vergessen. Geben Sie ihrem Kollegen im Nachbarzimmer im Vorübergehen einen Wink, mit welchem Kunden Sie es zu tun haben. Er kann Sie dann öfter anrufen.

2. Öfter mal telefonieren

Ruft Ihr Kollege aus dem Nachbarzimmer an, bitten Sie den Sozialhilfeempfänger ins Wartezimmer. „Ich habe da mal etwas Dienstliches zu klären, könnten Sie bitte für einen kurzen Moment vor der Tür Platz nehmen, bitte!“ In der Zwischenzeit können Sie Ihren Drehstuhl etwas höher stellen und den des Kunden dezent niedriger, damit Sie den Überblick behalten, falls der Sozialhilfeempfänger nach Ihrem Telefonat erneut anklopfen sollte. Bitte nutzen Sie Floskeln wie: „Ach, Sie hatte ich ja ganz vergessen.“

3. Der Zigarettentest

Seien Sie entgegenkommend, ziehen Sie ein Päckchen Camel aus der Tasche. „Zigarettchen gefällig?“ Greift Ihr Gegenüber zu, machen Sie ein bedenkliches Gesicht. „Dummerweise fallen Sie damit bei uns in die Kategorie Risikogruppe – da ist einiges in Bewegung. Ich kann da jetzt noch nicht drüber sprechen. Ich sag nur so viel: Höhere Beiträge, regelmäßige Untersuchungen. Wollen wir natürlich nicht, aber Sie wissen ja, die Regierung …“ Lehnt der Kunde die Zigarette ab, versuchen Sie es mit der Cognacflasche.

4. Aufs Internet verweisen

„Wenn Sie mal bei uns am Telefon nicht durchkommen oder die Öffnungszeiten eingeschränkt sind – Sie wissen doch am besten: Überall wird abgebaut –, dann finden Sie uns hundertprozentig im Internet. Ist doch auch am besten so: Das können Sie nebenbei im Büro erledigen. Sie sind immer auf dem Laufenden. Geht mit der neuesten Windows-Version blitzschnell.“

5. Weitere Infos anfordern

Nehmen Sie den Kunden beim Wort. „Ich sehe schon, wir kommen ins Geschäft miteinander. Jetzt bräuchte ich von Ihnen nur noch ein paar kleine Daten – sonst macht mir hier der Computer nicht weiter. Das betrifft vor allem die Besuche beim Zahnarzt. Nennen Sie mir doch mal eben Namen und Anschriften der Zahnärzte, bei denen Sie in den vergangenen zehn Jahren waren. Am besten zeigen Sie mir mal eben Ihr gut ausgefülltes Bonusheft. Und dann brauchen wir natürlich die Untersuchungsergebnisse mit allen Befunden. Haben Sie nicht dabei? Kein Problem, können Sie alles mit amtlich beglaubigten Kopien nachreichen. Sie brauchen sich nicht zu hetzen, es reicht, wenn ich die Sachen morgen habe. Bis Anfang Januar haben wir allerdings immer nur bis 11 Uhr geöffnet.“

6. Formulare aufhäufen

Ziehen Sie den Antragsteller auf Ihre Seite: „Unser größter Feind heißt Bürokratie. Wir versuchen, den ganzen Papierkrieg so klein wie möglich zu halten. Das Einzige, was Sie machen müssen, ist, diese 20 Seiten auszufüllen. Keine Angst, das sind nur 240 Fragen und Unterpunkte. Ein Blick ins Gesetzbuch, und Sie wissen Bescheid. Und wenn Sie nicht weiterkommen: Fragen Sie doch einfach einen Juristen in Ihrer Bekanntschaft.

7. Download anbieten

Im Verlauf des Gesprächs bietet sich an, auf die Knappheit der Ressourcen hinzuweisen. „Sie haben sicher Verständnis dafür, dass wir das Beitrittsformular nicht vorrätig haben. Unter uns: Wir lassen neuerdings in Polen drucken. Aber Sie können sich die Formulare problemlos und unbürokratisch auf unserer Homepage downloaden. Das ist auch praktisch, falls Sie sich einmal verschreiben sollten. Sollten Sie keinen Computer haben, besuchen Sie doch ein Internetcafé. Auch dort wird man Ihnen sicher gern weiterhelfen.“

9. Die Konkurrenz loben

Werden Sie vertraulich: „Mensch, wir sind doch quasi Nachbarn, bin doch auch hier in der Nähe groß geworden. Deshalb noch ein kleiner Tipp von mir, so unter der Hand – behalten Sie’s bloß für sich, der Chef reißt mir den Kopf ab, wenn der das hören würde. Also, das könnte hier übel ausgehen in ein paar Jahren mit unserem Laden. Ich mein, ich beneid Sie fast: Ich bin ja hier quasi zwangsversichert, ich komm hier nicht raus, aber Sie können ja überall hingehen – am besten zur AOK.“

10. An sich selber denken

Werte Kollegen und Kolleginnen, zum Schluss noch ein Hinweis: die Prämien für die Neukundenakquise gelten selbstverständlich nicht für Kunden aus dem oben genannten Personenkreis. Wir wünschen Ihnen ein erfolgreiches neues Jahr.

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