Alles wird aufgehoben

Der Dezember ist bald vorbei: Ein paar Abschiedsgedanken über sonnige Tage im Winter, nervöse Besuche bei Freunden, antiautoritäre Weihnachtsgeschichten im Radio, Dauerfernsehen als Haschersatz und den Herrn der Ringe am Potsdamer Platz

von DETLEF KUHLBRODT

Dezember: Komisch, dass man sich so sehr von Monaten und Jahreszeiten beeindrucken und veranstalten lässt, dass einen die Dunkelheit berührt und bestimmt, die Festtage nervös machen, trotz aller Gemütlichkeit, schönen Radiosendungen („Kakadu“ am Sonntag) usw. Einerseits ist der Dezember düster und unleidlich, andererseits sind die sonnigen Tage viel heller als im Sommer und beeindrucken sehr, wenn man blinzelnd gegen Mittag die Straße rauf- und runterrennt und manchmal stehen bleibt, um Hunde im Gegenlicht anzugucken und begeistert in SMSen davon zu berichten. Die richtige Antwort lautete: „Pass auf, dass du den Hund nicht zertrittst“, und weihnachtsvorbereitend hatte es am 23. sedierende Programme gegeben.

Um 11.34 Uhr zum Beispiel im Kulturradio die berühmte 68er-Weihnachtsgeschichte von Robert Gernhardt mit den studentischen Weihnachtsmännern, die die Eltern einer gutbürgerlichen Familie zur Weißglut und die Kinder in die Renitenz treiben. Robert Gernhardt las selber. Die türkische Bäckersfrau wünschte mir, als ich ging, „Schöne Feier“, und der Arte-Themenabend beschäftigte sich mit „Buddha“. In der Sendung hieß es: „Im Schatten des Himalaja führen die Mönche ein entbehrungsreiches Leben“, und: „Siddharta hat immer alles ausprobiert, um den Menschen alles besser erklären zu können.“ Weihnachten ist so: Man möchte Freunde besuchen und deren Mütter stehen plötzlich vor der Tür.

Wie immer war man nervös.

Nein, keine Geschenke.

Ich hab dir was Kleines besorgt.

Mach dir keinen Stress.

Können vor Lachen und es lief dann darauf hinaus, dass man viel zu spät zum Essen kam, weil man noch am Rumbasteln war und außerdem das Kind vergessen hatte. S. ging’s genauso. Schiere Weihnachtspanik und Impulskäufe.

Und als man sich dann doch so langsam in den Weihnachsabend eingegroovt hatte, musste man schon wieder los, Volksbühne, ein Termin, den man sich ausgesucht hatte, um Weihnachtszwängen zu entkommen. Und irgendwie kam’s einem künstlich vor, weil Weihnachten ja doch was Besonderes sein sollte. Die Straßen aber waren schön leer und in der Leere, auf dem Fahrrad, wurde einem in der Leipziger Straße gegen halb zwei dann doch wieder weihnachtlich. Die Freunde aber waren schon berauscht, die Stimmung ging Richtung Silvester und für wen’s ein gutes Jahr gewesen war, der sollte sich melden.

Aber so kann man doch nicht über Lebenszeit urteilen.

Man besteht doch nicht nur aus Sonntagen. Ein Teil ist doch immer auch Dienstag und es muss doch eigentlich darum gehen, auch den Donnerstag in einem selber zu akzeptieren; ja zu sagen zum Unerfreulichen. Das Leben ist doch gerade nicht der gerade Weg zum Besseren hin und so weiter, sondern. Als Ex-DDRler müsstet ihr das doch wissen. Obgleich andererseits. Bei Hegel gibt’s ja zwischen den verschiedenen Etappen, die das unglückliche Bewusstsein auf seinem Wegs zum Absoluten so dahintrottelt, die totale Verzweiflung, durch die es hindurchmuss. Nichts geht verloren, alles wird aufgehoben, also müsste man anders darüber reden.

Hör mal auf, hier rumzuproblematisieren.

Okay: Dann wird es eben ein gutes Jahr gewesen sein.

Später sprach der Glückskeks tatsächlich von schönen Dingen und F. von seinen Erlebnissen als Weihnachtsmann. Zwanzigmal Neukölln. Alles normal.

Und woher hast du dein blaues Auge?

Die Weihnachtsmannausrüstung hatte ganz oben im Regal gelegen und als ich sie runterholen wollte, sind mir die Weihnachtsmannstiefel entgegengekommen. Direkt aufs Auge.

Es gibt Rituale, die ungefähr irgendwo zwischen Vorweihnachten und Silvester liegen. Feste, Treffen, zu Weihnachten die Zeit und die Frankfurter Rundschau lesen, in den Zoo gehen. Jedes Jahr gib es Ärger mit krummen Tannenbäumen, die irgendwelche Städte nach Berlin schicken. „Der hässlichste Weihnachtsbaum steht in Berlin“, heißt es dann in der BZ und ein paar Tage später regt sich die gleiche Zeitung über militante Weihnachtsgegner auf, die im Schutze der Nacht Weihnachtsbäume in Spandau absägen oder prominente Heiligabendsgottesdienste mit Zwischenrufen stören. Die Berliner Zeitung hingegen berichtete von britischen Forschern, die festgestellt haben, dass Kinder, die keine Freunde haben, später Politiker werden.

Und jedes Jahr den „Herrn der Ringe“. Ausuferndes Kino am Potsdamer Platz. Passt vielleicht auch so gut in die Zeit, weil die Filmlandschaften an Kindereisenbahnlandschaften erinnern. Irgendwie auch interessant, dass eine Geschichte, die in den 60er- und 70er-Jahren vor allem in minoritären Alternativ-, Kiffer- und Hippiemilieus verbreitet war, inzwischen, nach einer langen Zeit der Entwicklung quasi, globalisierter Mainstream geworden ist. Was soll man nur nächstes Jahr machen?

Versöhnlerisch ist die so genannte Zeit zwischen den Jahren, rauschintensiv bei vielen und außerdem natürlich Fernsehen. Fernsehen ist böse und macht süchtig, finden manche. Zum Beispiel der Leser Ludwig Berger, der neulich schrieb: „Wer von der Unterhaltungsindustrie abhängig ist – den armen Schweinen wird Harald Schmidt fehlen.“ Dauerfernsehen ist Haschersatz. Manchmal sucht man sich die Filme nach interessanten Farben, klaren Handlungen, interessanten Wohnungen und guter Raumaufteilung aus. Zum Beispiel Aschenbrödel, Hitchcock und Charlie Chaplin. Statt Nachrichten gibt es Kekse, Zigaretten, Tee und Krümel im Bett. Duschen ist viel zu ungemütlich und auf den zweiten Blick würde ich mal sagen, ist es schon wieder oder immer noch dunkel und Nacht dort draußen.

Schön ist der Friedrichshain in der Dämmerung. Es war mild wie im Herbst, der Himmel war grau. Gegen Abend hatte es sich am Horizont aufgeklart. Dort gab es ein paar mildorangerosa Wolken. Und daneben der Schriftzug des „Café Schönbrunn“ und das Licht in den Fenstern der Häuser.