NACH DEM KRIEG IM IRAK: KEINE ARBEIT, KEIN EINKOMMEN, KEIN BENZIN
: Es kommt auf die Iraker an

„Die Koalition sollte Saddam Hussein für eine Woche noch einmal an die Macht lassen. Ich bin sicher, dass er die Probleme lösen würde.“ Das sagte der Nachrichtenagentur ap ein biederer Geschäftsmann. Er hat einen halben Tag und die ganze Nacht um Benzin angestanden und dann doch keines bekommen. Zu Saddams Zeit undenkbar. Es ist nichts Neues, dass sich im Rückblick auch Diktaturen oft verklären. Das war in Deutschland nach 1945 so und erst recht nach dem Ende der DDR. Der Unterschied zum Irak ist, dass es hier nicht um eine historische Verzerrung in einer gewissen zeitlichen Distanz geht, sondern Alltagserfahrungen in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr verglichen werden.

Woran wird sich Erfolg oder Desaster im Irak messen? Der Krieg war völkerrechtswidrig, aber vielleicht ist ja das Völkerrecht überholt. Der Krieg wurde mit einer Lüge begründet, aber auch der Kriegseintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg wurde der Bevölkerung womöglich mit einer Lüge verkauft. Gibt es etwas Richtiges im Falschen? Letztlich wird die Frage pragmatisch entschieden, und zwar zuallererst von den Bewohnern des Irak.

Die einzigen, die den US-Angriff nach wie vor begrüßen, sind die Kurden. Für sie war die Beseitigung und Gefangennahme Saddams die ersehnte Befreiung. Doch selbst die Kurden wissen nicht, wie es weitergehen soll. Ihren eigenen Staat wollen ihnen auch die amerikanischen Freunde nicht geben. Die Schiiten warten ab, und die unter Saddam dominanten arabischen Sunniten sehen sich als eigentliche Verlierer. Allen gemeinsam aber ist, dass der Alltag nicht funktioniert. Keine Arbeit, kein Einkommen, keine Sicherheit, und als äußerstes Paradox im Ölland Irak: kein Benzin. Wenn die Mehrheit der Iraker nicht für einen neuen Anfang gewonnen werden kann, wenn sich für den Händler, die Lehrerin oder den Bürokraten keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft auftut, dann wird der Krieg zu dem Desaster, das viele befürchtet haben. Bush und seine Leute wollen das nicht wahrhaben. Sie glauben, mit einem Wiederaufbau des Iraks unter internationaler Kontrolle ihren „Besitz“ abgeben zu müssen. Bis sie gelernt haben, dass sie so erst recht alles verlieren, wird es zu spät sein. JÜRGEN GOTTSCHLICH