DER TROCKENE SOMMER
: Apokalypsen-Luxus

Über nichts meckern wir lieber als über das Wetter. Kaum scheint dann mal die Sonne, ist es aber auch wieder nicht recht. Und so wurde der heiße, trockene Sommer 2003 auch flugs zur Klimakatastrophe umgedeutet. Angemessen apokalyptisch waren dann auch die Ängste: Die deutschen Bauern fürchteten eine „nationale Katastrophe“; die deutschen Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke gingen vom Netz, weil das Wasser der Flüsse zu warm war, um die Kraftwerke damit zu kühlen; die deutschen Bier- und Sprudeltrinker klagten bitter über den ausbleibenden Nachschub ihrer Getränke.

Natürlich befinden wir uns mitten im Klimawandel. Global haben die Temperaturen sich seit Beginn der Industrialisierung um 0,6 Grad Celsius erhöht. Auch die Menschen in den Industriestaaten leiden darunter: In Frankreich starben in diesem Sommer nach offiziellen Angaben 11.000 Menschen zusätzlich an der Hitze. Im Westen der USA wüten die Waldbrände auch nicht zufällig jedes Jahr schlimmer. Australien rechnet damit, dass immer mehr Bauern aufgeben müssen.

Und doch ist das alles schierer Luxus, verglichen mit den Menschen, die wirklich unter dem Klimawandel leiden. Bereits jetzt sterben jedes Jahr 150.000 Menschen daran – und zwar in den Entwicklungsländern an Malaria, Unterernährung, Durchfall und Hochwasser. In diesen Gebieten verknappt sich das Trinkwasser, die Ernten fallen aus, Stürme und Hochwasser nehmen zu, Menschen werden zu Flüchtlingen, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben und arbeiten können. Diese Gegenden der Welt sind vom Klimawandel praktisch nur in einer Form betroffen – als Opfer. Denn der Beitrag der Entwicklungs- und Schwellenländer zur globalen Erwärmung ist noch marginal.

Wir Täter des Klimawandels dagegen sitzen warm und trocken. Wir beschweren uns über einen warmen Sommer, während andere ihre Lebensgrundlagen verlieren. Wir importieren bei Trockenheit einfach mehr Lebensmittel, während andere Menschen verhungern. Wir trinken Leitungs- statt Mineralwasser, während andere verdursten. Wir beziehen unseren Strom im Zweifel von jenseits der Grenze, während andere nicht einmal eine Stromleitung haben. Der Sommer 2003 hat die Menschen auch in Deutschland gelehrt, wie brutal der Klimawandel in ihr eigenes Leben eingreift. Nämlich: Wenn ein heißer Sommer und das Dosenpfand zusammenkommen, kann es verdammt hart sein, irgendwo ein kühles Bier aufzutreiben. BERNHARD PÖTTER